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Berlusconi ante portas PDF Drucken

Thomas Schmid - Berliner Zeitung, 12.04.2008


Weshalb ein Mann, der in Europa als Skandalnudel gilt, in Italien die Wahlen gewinnen könnte

Mag sein, dass noch ein Wunder geschieht. Vielleicht verliert ja Silvio Berlusconi mit seinem Bündnis "Volk der Freiheit" die italienischen Parlamentswahlen. Zu hoffen wagt es kaum noch jemand. Aber selbst dann stellt sich die Frage, weshalb ungefähr die Hälfte des aktiven italienischen Wahlvolks die Regierung einem Mann anvertrauen will, der in etwa 20 Strafverfahren verwickelt war und der als Ministerpräsident in seiner letzten Amtsperiode eine Reihe Gesetze mit dem ausschließlichen Ziel durchgepaukt hat, sich selbst vor dem Gefängnis zu retten.

Einem Mann, der seine Gegner umstandslos als Kommunisten beschimpfte, die Richter verhöhnte, sich selbst einmal mit Churchill und ein anderes Mal mit Jesus Christus verglich, um dann mit Nonchalance zu gestehen: "Ich arbeite hart daran, meinen Höherwertigkeitskomplex zu überwinden." Einem Mann, der öffentlich mit seinen Erfolgen bei schönen Frauen prahlt, der sich über alles und alle lustig macht - auch über jene Studentin, die ihn fragte, wie denn heute junge Paare ohne sichere Arbeitsplätze eine Familie gründen könnten. Er schlug ihr vor: "Heiraten Sie einen meiner Söhne." Berlusconi ist der reichste Mann Italiens.

Sicher: Berlusconi verfügt über drei der vier landesweit ausstrahlenden privaten TV-Kanäle, und drei Viertel der Italiener informieren sich politisch ausschließlich über das Fernsehen. Er besitzt zudem eine stattliche Reihe von Zeitschriften und Zeitungen. Doch die mediale Berieselung des Volkes allein kann den Erfolg des unverschämten Demagogen, der schamlos rechtsextreme Kleinparteien in sein Bündnis aufgenommen hat, nicht erklären.

Die Gründe für Berlusconis relativen Erfolg liegen tiefer. Der bekannteste Politiker Italiens geriert sich als Antipolitiker. Er bedient die im Land weit verbreiteten Ressentiments gegen den Staat, der immerzu nur abzockt. "Roma ladrona", sagt der Volksmund: Rom, wo die politische Macht und die zentralen Steuerbehörden angesiedelt sind, stiehlt. Italien ist das Land der kleinen Geschäftsleute, Ladeninhaber, Handwerker. Über ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung sind in Italien Selbstständige - ihr Anteil ist etwa dreimal so hoch wie in Deutschland. Und Berlusconi hat als Regierungschef öffentlich in einem Maß Verständnis für die Hinterziehung von Steuern aufgebracht, das geradezu als Aufforderung verstanden werden kann, den Staat zu betrügen. Er signalisiert den Italienern: Die Gesetze gelten nur für die Dummen.

Berlusconi ist selbst auf zwielichtigem, nie wirklich aufgeklärtem Weg zu seinem immensen Reichtum gekommen. Er ist ein Beispiel, wie man es vom armen Schlucker zum Milliardär schaffen kann. Er personifiziert die Erfüllung der Träume von einer leichten, unbeschwerten, sorglosen Welt, die seine Fernsehsender einem Millionenpublikum täglich unterjubeln. Am besten hat Berlusconi vielleicht seinen Erfolg selbst begriffen. Er sagte einmal: "Ich bin der Fleisch gewordene italienische Traum."

Für die einen Traum, für die andern Albtraum. Paolo Flores d'Arcais, einer der bekanntesten Philosophen Italiens, warnt bei einem Wahlsieg Berlusconis vor einer "Putinisierung" des Landes - einer Aushöhlung der bürgerlichen Rechte, einer Schwächung der demokratischen Kontrollinstanzen und einer Gängelung der öffentlichen Meinung, wie sie der russische Machthaber vorexerziert. Die Opposition hätte dem wohl wenig entgegenzusetzen. Die Enttäuschung über die Politik der gestürzten Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi ist weithin in Politikverdrossenheit, Zynismus und Fatalismus umgeschlagen. So scheint Italien gelähmt, und Berlusconi steht vor seinem zweiten Comeback. Aber vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder.

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid