Home .texte [auswahl] .analyse - debatte Streit zwischen Nachbarn
Streit zwischen Nachbarn PDF Drucken

Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 30.04.2008

Wenn Sie einen Schweizer Banker aus dem Fenster hüpfen sehen, hüpfen Sie gleich hinterher, es gibt bestimmt was zu verdienen!" So spottete der große französische Aufklärer Voltaire vor 250 Jahren. Die Schweiz zählte damals zu den ärmsten Landstrichen Europas. Heute ist sie eine Wohlstandsinsel mitten in der Europäschen Union, der sie gar nicht angehört. Ihren Reichtum verdankt sie gewiss nicht nur, aber eben auch ihren Banken, in denen schätzungsweise ein Drittel des gesamten Vermögens lagert, das weltweit von deren Besitzern über die Grenzen ihres eigenen Staates transferiert wurde.

Des einen Freud', des andern Leid. Milliardenbeträge werden am deutschen Fiskus vorbei in die Alpenrepublik geschleust. Das schmerzt. Angela Merkel hat bei ihrem gestrigen Blitzbesuch in der Schweiz - sie absolvierte vier Minister in zwei Stunden - das Thema zur Sprache gebracht. Es blieb beim Austausch gegensätzlicher Ansichten.

Dass auch die Schweiz im Gefolge der Affäre um die im Fürstentum Liechtenstein versteckten Gelder ins Visier deutscher Steuerfahnder geraten würde, war abzusehen. So werden nun Verteidigungspositionen aufgebaut. "Es ist nicht meine Aufgabe, mir Gedanken zu machen über niedrigere Steuersätze in Deutschland, das muss Deutschland selbst entscheiden", frotzelte der Schweizer Innenminister Pascal Couchepin kurz vor der Ankunft der Bundeskanzlerin, "es gibt einen Standortwettbewerb, jeder versucht, sich gut zu positionieren."

Natürlich gibt es es einen Standortwettbewerb. Doch dieser Kampf wird - um es schweizerisch zu sagen - nicht mit gleich langen Spießen ausgefochten. Auch in der Schweiz wird zwar Steuerbetrug strafrechtlich geahndet. Steuerhinterziehung hingegen ist bloß eine Ordnungswidrigkeit, vergleichbar mit Parken im Halteverbot. Und das Bankgeheimnis schützt Steuerhinterzieher.

Nicht überall. Die USA haben schon vor Jahren mächtig Druck gemacht, bis die Schweizer einknickten. Gegenüber dem US-Fiskus rücken die helvetischen Banken die Daten von Steuersündern nun heraus. Die EU verlangt seit langem Gleichbehandlung. Auf noch härteren Widerstand dürfte sie an anderer Stelle stoßen. Sie fordert eine Angleichung des Schweizer Steuersystems an das europäische. Doch eine Steuerharmonisierung scheitert am Umstand, dass in der Schweiz die Steuerhoheit nicht beim Bund, sondern bei den Kantonen liegt.

Bei vielen Schweizern schrillen da die Alarmglocken. Man ist mit guten Gründen stolz auf den Föderalismus und auf die direkte Demokratie. Und wenn die rechtspopulistische SVP, die stärkste Partei im Land, - in Anspielung auf die 700 Jahre zurückliegenden Zeiten, als die Eidgenossen den Habsburgern den Tribut verweigerten - von einem Diktat fremder Vögte spricht und die europäischen Bürokraten meint, fällt dies leider auf fruchtbaren Boden.

Schon gar nicht mag man in der Schweiz Belehrungen vom deutschen Nachbarn. Es gibt eine diffuse Angst vor dem "großen Kanton im Norden". 200.000 Deutsche leben in der Schweiz. Allein im vergangenen Jahr sind 30.000 "Schwaben" angekommen, wie die Menschen, die jenseits des Rheins geboren sind, unabhängig von ihrer regionalen Herkunft in fremdenfeindlichen Kreisen generell genannt werden. Die meisten kamen wegen der hohen Löhne und der niedrigen Steuern.

Die Zuwanderer aus Deutschland werden in der Schweiz weniger geliebt, als sie selbst wahrnehmen. Sie gelten als laut, arrogant, besserwisserisch. Aber hinter den Ressentiments versteckt sich auch die Angst, überrollt zu werden, die Angst vor europäischer Einebnung, die Angst vor einer unsicheren Zukunft. Vor 16 Jahren stellte die Schweizer Regierung ein EU-Beitrittsgesuch. Heute will sie davon nichts mehr wissen. Zweifellos würde eine breite Mehrheit ihrer Bürger einen Beitritt über eine Volksabstimmung verhindern. Während das arme Osteuropa in die EU strebt, hält sich die reiche Schweiz von ihr fern. Doch mehr als ihre Bürger wahrhaben wollen, ist sie wirtschaftlich, politisch und rechtlich mit ihr verflochten.

Über bilaterale Verträge mit der EU musste die Schweiz schon vor Jahren Freizügigkeit gewähren. Über die Anflugrouten zum Airport Zürich steht sie mit Deutschland, zu dem der lärmgeplagte Südschwarzwald gehört, in Verhandlungen. Irgendwann ist auch das Bankgeheimnis fällig. Je später die Schweiz nachgibt, desto weniger wird sie im Gegenzug erhalten. Die Zeit arbeitet für die Integration Europas und gegen die Schweiz.

 

copyright © 2008 | - Journalist | website designed by: kalle staymann

Der Blick in die Welt, Thomas Schmid