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Es gibt keine Gleichheit im Unrecht PDF Drucken

Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 31.07.2008
Sarajevo wurde schon ein Jahr lang belagert und beschossen, als der UN-Sicherheitsrat mitten im Bosnien-Krieg eine historische Entscheidung traf. Er richtete im Mai 1993 ein Tribunal ein, um die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und Völkermord in den Jugoslawien-Kriegen zur Rechenschaft zu ziehen. Es herrschten damals weithin Zweifel über den Sinn dieser Maßnahme, zumal man mit dem serbischen Potentaten Slobodan Milosevic wie mit dem bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic in politischen Verhandlungen stand. Inzwischen kann das Jugoslawien-Tribunal eine erfolgreiche Bilanz vorweisen: 56 Kriegsverbrecher sind rechtskräftig verurteilt. Milosevic starb nicht in seiner Luxusvilla in Belgrad, sondern in einer Gefängniszelle in Den Haag. Und gestern wurde Karadzic überstellt.



Es ist ein weiterer Meilenstein in der noch jungen Geschichte der juristischen Verfolgung von Kriegsverbrechen. Zum ersten Mal wurden im Nürnberger Prozess von 1945 Kriegsverbrecher von einem internationalen Gericht zur Verantwortung gezogen. Im Kalten Krieg aber gestanden sich dann die Großmächte stillschweigend das Recht zu, in der eigenen Einflusssphäre die UN-Charta von 1945 zu missachten. Die Kriegsverbrechen der Amerikaner in Vietnam und der Sowjets in Afghanistan blieben ungesühnt.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung der Blöcke wurde der UN-Sicherheitsrat wieder handlungsfähig. Er schaffte 1993 das Jugoslawien-Tribunal und ein Jahr später ein Tribunal für die Sühnung des Genozids in Ruanda. Der nächste Meilenstein in der Geschichte der Verfolgung von Kriegsverbrechern war 2003 die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC), dessen Statut von 106 Staaten ratifiziert wurde. Wieder war zu Beginn die Skepsis groß, weil ihn wichtige Staaten boykottieren: die USA, Russland, China vorneweg.

Doch auch der ICC wurde tätig. 2006 wurde der kongolesische Milizenchef Thomas Lubanga wegen Kriegsverbrechen festgenommen und dem Tribunal mit Sitz in Den Haag ausgeliefert. Der ICC ermittelt auch gegen Joseph Kony, Chef einer grausamen Miliz in Uganda. Im Mai dieses Jahres wurde Jean-Pierre Bemba nach Den Haag überstellt. Dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten des Kongo werden Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik angelastet. Und vor zwei Wochen hat der ICC wegen Völkermord und Kriegsverbrechen zum ersten Mal Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef beantragt: gegen den sudanesischen Präsidenten Al-Baschir.

Während der Kongo und Uganda den ICC um Ermittlungen baten, hat der Sudan das Statut des ICC so wenig ratifiziert wie die USA. Der Chefankläger konnte dennoch tätig werden, weil er - wegen der Massaker und Vertreibungen in Darfur - vom UN-Sicherheitsrat dazu ermächtigt wurde. Nun mag man einwenden, dass der ICC bisher nur in Afrika ermittelt und keinen Haftbefehl gegen George W.Bush wegen Kriegsverbrechen im Irak oder gegen Wladimir Putin wegen der Gräuel in Tschetschenien beantragt. Das mag moralisch geboten sein, ist politisch aber nicht durchsetzbar. Russland und die USA haben im Sicherheitsrat ein Vetorecht.

Das ist gewiss eine Ungerechtigkeit. Aber die staatliche Justiz lässt ja auch nicht den einen Verbrecher laufen, weil sie den andern nicht kriegt. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht. Zudem agiert die internationale Justiz nicht im politikfreien Raum. Russland und China bemühen sich zur Zeit, den Haftbefehl gegen Al-Baschir vom UN-Sicherheitsrat aussetzen zu lassen. Dies ermöglicht das ICC-Statut, weil eben die Schaffung eines Friedens Vorrang vor der Gerechtigkeit haben soll. Doch Russland bangt offensichtlich um seine Waffengeschäfte mit dem Sudan und China um seine Konzessionen bei der Ölförderung. Und jeden Ansatz eines Friedensprozesses blockiert Al-Baschir mit einer Hinhaltetaktik, wie sie einst Karadzic zu eigen war, seit Jahren.

Bei allen Mängeln, die dem Jugoslawien-Tribunal wie dem ICC anhaften, sind beide Gerichte doch Ausdruck eines zivilisatorischen Fortschritts. Zwar mag sich nicht jeder Diktator abschrecken lassen, aber einige werden sich vielleicht doch überlegen, wie sie ihren Lebensabend verbringen wollen. Zudem haben Opfer Recht auf Genugtuung. Und die Strafverfolgung mag auch die Aussöhnung befördern. All das ist nicht wenig - aber eben nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung des alten Menschheitstraums von einem unabhängigen Weltstrafgericht.

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid