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Vom Kosovo zum Kaukasus PDF Drucken

Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 11.08.2008

Nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs wurde Südossetien 1918 in die (bis 1921) unabhängige Demokratische Republik Georgien eingegliedert. Niemand fragte damals die Bewohner des Landstrichs, der etwa einen Siebtel der Fläche von Brandenburg ausmacht, in welchem Staat sie denn leben wollten - so wenig wie die Menschen im Kosovo nach dem Ersten Balkankrieg 1912 gefragt wurden, ob sie nun lieber zu Serbien oder zum neu entstandenen Albanien gehören wollten. Als die Sowjetunion 1991 zerfiel, verblieb Südossetien völkerrechtlich bei Georgien, genauso wie das Kosovo nach dem Zerfall Jugoslawiens weiterhin zu Serbien gehörte. Die Südosseten wollten raus aus Georgien und die Albaner raus aus Serbien.

Im Februar proklamierte das Kosovo seine Unabhängigkeit. Schon kurz danach erkannten über 40 Staaten, unter ihnen auch Deutschland, die Souveränität des neuen Balkanstaates an. Doch es fehlte nicht an warnenden Stimmen. Vor allem Moskau verwies auf die schwelenden Konflikte in Transnistrien (Moldawien), Berg Karabach (Aserbaidschan), Abchasien (Georgien) und eben Südossetien. Rein völkerrechtlich betrachtet sind die Fälle in etwa gleich gelagert.

Es gibt zwar ein in der UN-Charta verbrieftes "Selbstbestimmungsrecht der Völker". In ethnisch gemischt besiedelten Regionen aber wie dem Balkan und dem Kaukasus wäre es praktisch allenfalls umsetzbar, wenn man völkerrechtswidrig das Land zuvor "ethnisch säubern" würde.

So geht es denn sowohl im Kosovo wie im Kaukasus nicht primär um die Durchsetzung von Völkerrecht, sondern um politische Lösungen von Konflikten. Und da diese Konflikte doch sehr verschieden sind, wird man auch zu verschiedenen Lösungen kommen. Im Kosovo war nach der verfassungswidrigen Abschaffung der Autonomie der Provinz durch Slobodan Milosevic zu Beginn der 90er-Jahre, nach der harten Repression danach, nach der Vertreibung von Hunderttausenden von Albanern durch die Serben ein Verbleib des Kosovo im serbischen Staatsverband schlicht keine Lösung mehr.

Georgien aber hat in Südossetien, wo 1991 noch 29 Prozent Georgier wohnten, keine vergleichbare Politik der Repression und Vertreibung durchgeführt. In Abchasien, der andern abtrünnigen Region Georgiens, vertrieben nicht die Georgier Abchasen, sondern die Abchasen 200 000 von damals 250 000 Georgiern der Region.

Während sich die USA und die EU aus dem Konflikt im Kosovo bis 1998 heraushielten und es dort ausschließlich um Auseinandersetzungen zwischen Albanern und Serben ging, mischte sich Russland in Georgien von Anfang an, auch militärisch, ein. Es versteht sich als Schutzmacht der Abchasen und Osseten. Seine Soldaten vor Ort aber gaben sich als neutrale Schlichter im Streit aus. Faktisch sind Südossetien wie Abchasien russische Protektorate. Sie wurden Georgien, das in die Nato strebt, entrissen. Im Kaukasus findet insofern ein Stellvertreterkrieg statt.

Während die Nato 1999 im Fall Kosovo intervenierte, um eine Ausweitung des Kriegs auf Mazedonien und Flüchtlingsströme nach Westeuropa zu verhindern, geht es im Kaukasus um handfeste geostrategische und wirtschaftliche Interessen - vor allem um die Transportwege für Öl und Gas aus dem Kaspischen Meer nach Europa. Auf dem Balkan war der Westen bemüht, einen Brandherd zu löschen. Im Kaukasus ist Russland offensichtlich an Schwelbränden interessiert.

Wladimir Putin, obwohl nur noch Ministerpräsident, ist weiterhin der wirkliche Machthaber in Russland.Er, und nicht Dmitri Medwedew, spricht vom "georgischen Völkermord", er, und nicht der Präsident, warnt die Nato, begibt sich in den Kaukasus. Die USA haben Stützpunkte in Zentralasien. Mit Indien haben sie einen Nuklearpakt geschlossen. Im Irak werden sie nach dem militärischen Abzug ihre Basen haben. Die baltischen Staaten sind der Nato beigetreten. Dem derart eingekreisten und durch Verlust der einstigen Sowjetrepubliken ohnehin schon gedemütigten Russland will Putin wieder zu nationaler Größe verhelfen.

An einem Krieg im Kaukasus mögen nationalistische Heißsporne in Abchasien und Ossetien interessiert sein. Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili, ein Provokateur und Rabauke, kommt ihnen mit seiner poltrigen Art entgegen. Putin aber will keinen unkontrollierbaren Flächenbrand, sondern einen Krieg auf Sparflamme. Ohne die Großmacht Russland kann in dessen Vorhof kein Konflikt gelöst werden. Das ist die Botschaft, die die russischen Bomber nach Georgien tragen.

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid