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GIULIO ANDREOTTI - Zwischen Vatikan und Mafia PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung 14.01.2009



Giulio Andreotti, Doyen der italienischen Politik, wird 90

Er ist die graue Eminenz der italienischen Politik, er gehört zum politischen Urgestein des Landes. In der Öffentlichkeit heißt er längst "il divo", der Göttliche, oder aber "il belzebù", der Leibhaftige.
Für die Karikaturisten war er immer ein leichtes Sujet: Buckel und Fledermausohren - wie eine misstrauische Schildkröte schaut er aus seinem Anzug hervor. Heute wird Giulio Andreotti 90 Jahre alt. Wie kein anderer Politiker hat er die italienische Nachkriegszeit geprägt.





Unter Mussolini war Andreotti Vorsitzender der katholischen Studentenvereinigung, nach dem Ende des Faschismus schrieb er 1946 an der neuen Verfassung mit, 1954 wurde der Christdemokrat Innenminister, danach achtmal Außenminister und siebenmal Ministerpräsident. Heute nimmt er als Senator auf Lebenszeit an allen Parlamentssitzungen teil.

Jeden Morgen um sieben Uhr besucht Andreotti die Heilige Messe. Doch der Mann, der immer beste Beziehungen zum Vatikan pflegte, gilt in Italien als Schlitzohr schlechthin. Kaum ein Skandal der Nachkriegszeit, in den er nicht verstrickt war oder von seinen Gegnern verstrickt wurde.

28 mal konnte er die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität abwehren. Aber als er dann bezichtigt wurde, der Mafia Beihilfe geleistet und die Ermordung eines Journalisten in Auftrag gegeben zu haben, verzichtete er selbst auf Immunität und stellte sich der Justiz. Wegen Beihilfe zum Mord wurde er in zweiter Instanz zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, in letzter Instanz jedoch vollumfänglich freigesprochen. Dass er mit Toto Riina, dem obersten Boss der sizilianischen Mafia, den Bruderkuss ausgetauscht hat, wurde oft behauptet, aber nie bewiesen. Vom Vorwurf, mit der Cosa Nostra zusammengearbeitet zu haben, wurde er freigesprochen - mangels Beweisen.


In Deutschland wurde Andreotti vor allem wegen eines Bonmots bekannt, das er noch vor dem Mauerfall zum Besten gab: Deutschland sagte er, gefalle ihm so sehr, dass er am liebsten zwei davon habe.

Andreotti steht im Ruf, über alle alles zu wissen. Akribisch hat er über Jahrzehnte hinweg Gesprächsnotizen, Mitschriften von Telefonaten, Zeitungsartikel, Briefe und Notate abgelegt. Am Sonntag zeigte die italienische Zeitung "La Repubblica" zum ersten Mal Fotos des Privatarchivs des Politikers. Experten sprechen von 600 Regalmetern, in denen viel Zündstoff vermutet wird.

"Ich kenne einige Staatsgeheimnisse", frotzelte der greise Politiker letzte Woche in einem Interview, "aber ich werde sie ins Paradies mitnehmen." - "Ach, der Beelzebub wird also ins Paradies kommen?", fragte der Journalist nach. "Weil es Gott in seiner Güte so will", antwortete Giulio Andreotti schlau, "nicht weil ich es verdient habe."



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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid