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RAÚL ALFONSÍN - Kämpfer gegen die Diktatur der Militärs PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 02.04.2009

Der ehemalige Präsident Argentiniens Raúl Alfonsín ist gestorben

BERLIN. In Argentinien stehen die Flaggen auf Halbmast. Die Regierung hat eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Am späten Dienstagabend starb im Alter von 82 Jahren der Mann, der das Land nach sieben Jahren Militärdiktatur 1983 in die Demokratie zurückgeführt hatte: Raúl Alfonsín.


In den 70er Jahren war Lateinamerika ein tiefschwarzer Kontinent. Fast überall herrschten Militärdiktaturen, die grausamste von allen in Argentinien. An die zehntausend Personen gelten bis heute als "verschwunden", viele von ihnen wurden zu Tode gefoltert, verscharrt oder aus Flugzeugen heraus ins offene Meer geworfen.

Alfonsín kommt das historische Verdienst zu, die obersten Verantwortlichen der Militärdiktatur vor die Schranken der Justiz gestellt zu haben. Das hatte es in Lateinamerika noch nie gegeben: In einem regulären rechtsstaatlichen Prozess wurden Generäle zum Teil zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Als Argentiniens Armee 1982 die britischen Falkland-Inseln besetzte, brach im ganzen Land Jubel aus. Selbst die Montoneros, die Mitglieder der stärksten linken Guerilla des Landes, die am meisten unter der Diktatur zu leiden hatten, versprachen damals aus ihrem Exil in Kuba der Junta Unterstützung. Alfonsín hingegen lehnte es ab, sich an einem von den Militärs organisierten "patriotischen Akt" zu beteiligen. Er sprach von einem "hirnrissigen Abenteuer".

Die Briten beendeten das Abenteuer, und die Diktatur stürzte. Kaum war Alfonsín im Oktober 1983 als Kandidat der linksliberalen UCR zum Präsidenten gewählt, setzte er eine "Nationale Kommission über das Verschwinden von Personen" ein, an deren Spitze er Ernesto Sabato berief. Der renommierte Schriftsteller fasste die akribischen Recherchen der Kommission in einem voluminösen Bericht zusammen, der den Titel "Nunca mas" ("Nie wieder") trug und der Anklage gegen die Generäle die Fakten lieferte. Das historische Urteil wurde im Dezember 1985 gefällt.

Doch schon in den nächsten zwei Jahren ruderte Alfonsín unter dem Druck zweier Militärrevolten zurück. Er dekretierte ein "Schlussstrichgesetz" und ein Gesetz über "Befehlsnotstand", das Tausenden nachgeordneter Schergen das Gefängnis ersparte. Trotzdem hat Alfonsín mit seiner Haltung in der Menschenrechtsfrage lateinamerikanische Geschichte geschrieben.

Glückloser war er mit seiner Wirtschaftspolitik. Vergeblich versuchte er von den Gläubigerstaaten einen Erlass der von den Militärs geerbten Schulden zu erreichen. 1985 verkündete er eine "Kriegswirtschaft" und einen "Schlachtplan" gegen die galoppierende Inflation.

Doch er bekam die Krise nicht in den Griff. 1989 trat er fünf Monate vor dem Ende seines Mandats zurück und übergab das Amt an den rechten Peronisten Carlos Menem, der die folgenden Wahlen gewann und als Musterknabe des Internationalen Währungsfonds eine Privatisierung vorantrieb, die zum Kollaps der Wirtschaft führte.

Auch deshalb hat sich den Argentiniern Alfonsín mehr als moralisch integrer Präsident denn als wirtschaftlicher Versager ins Gedächtnis gegraben. Er ist der Mann, der in einem Land, dessen Geschichte von Gewalt, Staatsstreichen und populistischer Herrschaft gezeichnet ist, neue Maßstäbe setzte und der der Wahrheit über die Verbrechen der Diktatur zum Durchbruch verhalf.

"Wo der Dialog aufhört, beginnt die Gewalt", warnte er oft. Fidel Castro tönte nach seiner Verurteilung zu 15 Jahren Gefängnis durch die vorrevolutionäre Diktatur: "Die Geschichte wird mich freisprechen." Alfonsín gab sich bescheidener: "Wichtig ist nicht, wie mich die Geschichte beurteilt. Wichtig ist, dass ich geholfen habe, die Demokratie wiederherzustellen."


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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid