Tacheles reden PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 18.05.2009

Antrittsbesuche israelischer Ministerpräsidenten im Weißen Haus waren in den vergangenen 60 Jahren diplomatische Routine. Die Freundschaft zwischen Israel und den USA war etwa so unverbrüchlich wie einst jene zwischen der DDR und der Sowjetunion. Doch wenn heute Israels neuer Premier Benjamin Netanjahu in Washington Barack Obama trifft, wird Tacheles geredet. Das Verhältnis zwischen dem jüdischen Staat und seiner Schutzmacht ist angespannter denn je.


In den acht Jahren Bush-Regierung ist im Nahen Osten viel Porzellan zerschlagen worden. Zwar haben die Amerikaner die Iraker von ihrem langjährigen Tyrannen befreit. Doch steht als lachender Dritter der Iran da - wie zu Zeiten des Schahs wieder eine Regionalmacht, nun aber nicht mehr Vasall der USA und möglicherweise schon bald im Besitz von Atombomben. Für Israel eine Horrorvision.

Vermutlich ist die Außenpolitik des Iran weniger irrational, als die Hasstiraden seines Präsidenten glauben machen. Trotzdem bildet jeder neue Atomstaat eine zusätzliche Gefahr - zumal in einer Region, die seit Jahrzehnten von Kriegen erschüttert wird. Überdies hat der Iran beträchtliches Störpotenzial: Er kann über seine Anhänger unter den Schiiten des Irak das Nachbarland destabilisieren und über die schiitischen Hisbollah-Truppen den Libanon. Und er unterhält gute Beziehungen zur palästinensischen Hamas.

Aus all diesen Gründen hat Obama ein Interesse, den Iran zu domestizieren. Dazu braucht er die arabischen Staaten, denen ein starker Iran ebenfalls Angst macht. Die arabischen Potentaten aber drängen auf die Errichtung eines palästinensischen Staates - nicht aus Solidarität mit den Palästinensern, sondern weil der Konflikt den Fundamentalismus in der arabischen Welt schürt und ihre autokratischen Regimes gefährdet. Der Palästina-Konflikt ist die Crux jedes Versuchs, den Nahen Osten zu stabilisieren. Deshalb wird Obama heute seinen Gast drängen, eine Zweistaaten-Lösung anzustreben.

Wie diese aussehen wird, ist längst klar. Israel wird die meisten Siedlungen im Westjordanland räumen müssen. Es muss die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete - die Golanhöhen und Ostjerusalem - hergeben, und es muss den Palästinensern einen überlebensfähigen Staat zugestehen. Im Gegenzug wird es in anerkannten, sicheren Grenzen leben. Die Hamas, die sich mit der Zweistaatenlösung abzufinden scheint, muss Israel anerkennen.

Sicherheit ist für Israel das Wichtigste, hat Vorrang vor allem. Das ist durchaus verständlich. Doch haben 42 Jahre Besetzung das Land nicht sicherer gemacht, im Gegenteil. Und sowohl der Libanonfeldzug von 2006 wie auch der Gaza-Krieg 2008/2009 haben Israels Sicherheit allenfalls kurzfristig erhöht. Bloß getraut sich keine israelische Regierung, dies öffentlich einzugestehen. Sicherheit ist ohne Frieden nicht zu haben, und ein Friede nicht ohne Ende der Besatzung.

Obama weiß das, und vermutlich weiß es auch Netanjahu, der das Wort Zweistaatenlösung aus seinem Vokabular gestrichen hat, um seine wackelige Koalition mit der rechtsextremen Partei Unser Haus Israel seines rassistischen Außenministers nicht zu gefährden. Netanjahu ist die Sicherung seiner Macht offenbar wichtiger als die Sicherheit Israels. Wenn es zu keiner Zweistaatenlösung kommt, sind künftige Kriege programmiert.

Die israelischen Politiker haben sich in eine Sackgasse manövriert, aus der sie nicht herausfinden. Das palästinensische Lager ist politisch gespalten und zu keiner Initiative fähig. In dieser Situation kann eine Lösung nur von außen kommen, und nur die USA können genügend Druck ausüben, um ernsthafte Friedensverhandlungen zu erzwingen. Sie alimentieren Israel mit jährlich knapp drei Milliarden Dollar Militärhilfe.

Wenn Obama den Nahen Osten befrieden will, wird er diese Hilfe konditionieren müssen. Er könnte sie abhängig machen von Fortschritten im Friedensprozess und von einem Siedlungsstopp. Und er muss sich nicht nur mit den Falken der Regierung in Jerusalem anlegen, sondern auch mit der AIPAC zu Hause, der "führenden proisraelischen Lobby Amerikas", wie sie sich auf ihrer Website vorstellt. Sie ist 100 000 Mitglieder stark und hat nach eigenen Angaben anlässlich ihrer Jahrestagung Anfang Mai 508 Gesprächstermine im Kapitol vereinbart. Das vorrangige Ziel von AIPAC war es immer, jedweden Druck auf Israel im Vorfeld zu verhindern.

Sollte es Obama gelingen, Netanjahu auch zum Preis einer Regierungskrise in Israel und von Ärger mit der eigenen Klientel auf eine Zweistaatenlösung zu verpflichten, stünden die Zeichen gut für zwei weitere Treffen. Nächste Woche machen der ägyptische Präsident Husni Mubarak und der palästinensische Präsident Mahmud Abbas im Weißen Haus ihre Aufwartung. Im besten Fall könnte dann im Juni in Kairo unter Teilnahme weiterer arabischer Staaten eine große Friedenskonferenz starten. Es wäre nach acht verlorenen Bush-Jahren zumindest ein vielversprechender Neubeginn.


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