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HOSSEIN ALI MONTASERI - Der Unbeugsame PDF Drucken


Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 15.09.2009

Die größte Gefahr für das Mullah-Regime in Iran geht vermutlich von einem 87-jährigen Greis mit großer schwarzer Hornbrille und schütterem weißem Bart aus: Der Großajatollah Hossein Ali Montaseri hat am Wochenende eine Fatwa erlassen, ein Rechtsgutachten. Darin fordert er die Iraner unverblümt zum Widerstand gegen das Regime auf. "Eine Obrigkeit, die auf Knüppeln, auf Ungerechtigkeit und Rechtsverletzungen basiert, die sich der Wahlstimmen bemächtigt und diese manipuliert, die mordet, verhaftet (...), eine solche Obrigkeit ist aus religiöser Sicht und in den Augen eines jeden Vernünftigen zu verurteilen." Die Menschen müssten deren Absetzung fordern, schreibt Montaseri weiter, "dies ist eine allgemeine Pflicht, der (...) sich niemand unter einem Vorwand entziehen darf".



Unter dem Dutzend Großajatollahs des Iran hat Montaseri, der kein öffentliches Amt innehat, bei der schiitischen Geistlichkeit das höchste Ansehen überhaupt. Er trägt den höchsten theologischen Titel: Mardschaa al-Taklid, "Quelle der Nachahmung". Sein Wort zählt bei Millionen Iranern. Ali Chamenei, der "Oberste Rechtsgelehrte" und eigentliche Machthaber im Land, hat als Hodschad-ul-Islam einen niedrigeren theologischen Rang.

Montaseri, der zurückgezogen in der heiligen Stadt Ghom lebt, ist schon seit Jahren der schärfste theologische Widersacher des Regimes. Unter der Schah-Diktatur, die ihn vier Jahre eingekerkert und gefoltert hatte, warb er mit Kassetten des im Exil lebenden Ruhollah Khomeini für eine islamische Revolution. Als Khomeini 1979 mit Triumph in Teheran einzog, machte er Montaseri schon bald zu seinem Stellvertreter. Dieser war dann wesentlich an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt, die die "Herrschaft der Rechtsgelehrten" begründete.

Doch überwarf sich Montaseri mit Khomeini, als dieser eine Fatwa gegen Salman Rushdie erließ und ihn der Apostasie bezichtigte, des Abfalls vom Glauben. Es war faktisch ein Todesurteil gegen den indisch-britischen Autor der "Satanischen Verse". Rushdie, der in den USA wohnt, muss noch heute um sein Leben fürchten. Montaseri kritisierte die Fatwa öffentlich. Als er sich im Folgejahr auch noch gegen Massenhinrichtungen im Iran aussprach, brach Khomeini kurz vor seinem Tod den Stab über ihn.

Doch der unbeugsame Großajatollah ließ sich den Mund nicht verbieten. 1997 wurde er schließlich unter strengen Hausarrest gestellt. Schlägerbanden zerstörten seine Bibliothek. Erst fünf Jahre später durfte er das Haus wieder verlassen. "Ich bin nicht frei von Schuld", gestand er danach selbstkritisch. "Unsere Revolution gegen den korrupten Schah war richtig und gut, doch unser Gottesstaat wurde zum Misserfolg."

Dass er angesichts der dramatischen Lage im Iran nun zur Feder griff, begründete Montaseri mit einem Zitat des von allen Schiiten verehrten Ali, des Cousins und Schwiegersohns des Propheten: "Gott verlangt von den Gelehrten, dass sie niemals Ruhe geben, solange ein Tyrann satt ist und ein Unterdrückter hungrig."

©Berliner Zeitung

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid