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NOAH KLIEGER . Schreiben bis zum Lebensende PDF Drucken
Thomas Schmid, 03.12.2009

Er ist der älteste unter den mehr als 250 Journalisten, die nach München gekommen sind, um über den Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk zu berichten. Und er sitzt immer in der hintersten Reihe. Da hat er alles im Überblick. Schließlich hört er trotz seiner 83 Jahre noch gut. Noah Klieger gehört der Redaktion der israelischen Zeitung Yedioth Ahronoth an und ist aus Tel Aviv angereist. Er hat über viele große Prozesse gegen nationalsozialistische Kriegsverbrecher berichtet: über den Eichmann-Prozess in Jerusalem, die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, den Majdanek-Prozess in Düsseldorf und den Prozess gegen Klaus Barbie, den Gestapo-Chef von Lyon.



Kriegsverbrecher-Prozesse sind Kliegers Passion. Das liegt in seiner Biografie begründet. Klieger hat Auschwitz überlebt. Geboren wurde er 1926 in Straßburg. Seine Familie siedelte kurz vor den November-Pogromen ins vermeintlich sicherere Belgien um. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht, schloss sich der 15-Jährige einer jüdischen Untergrundorganisation an, die mit der französischen Résistance an die 300 jüdische Kinder in die Schweiz schleuste. Doch er wurde verraten und im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert. Beim Herannahen der sowjetischen Truppen wurde er auf einen der Todesmärsche geschickt, überlebte und kam ins KZ Ravensbrück, wo ihn Soldaten der Roten Armee befreiten.

Nach dem Krieg gehörte Klieger zur Besatzung der "Exodus", die 4 500 Juden nach Palästina bringen wollte. Doch die Briten brachten das Schiff vor Tel Aviv auf und zwangen die Flüchtlinge, nach Europa zurückzukehren. Dort wurden sie einige Monate lang in einem britischen Lager interniert. 1948 war der überzeugte Zionist gerade noch rechtzeitig in Palästina zurück, um am Unabhängigkeitskrieg teilzunehmen.

Erst die großen Kriegsverbrecherprozesse führten ihn nach Europa zurück. Wie die deutsche Justiz mit der nationalsozialistischen Vergangenheit über Jahrzehnte hinweg umgegangen ist, findet Klieger schlicht empörend. Ob der Demjanjuk-Prozess mit einem Urteil endet, bezweifelt er: "Die Verteidigung verzögert den Prozess nach Kräften, der Präsident lässt ihn aussetzen, weil der Angeklagte 37,5 Grad Fieber hat." Klieger befürchtet, dass Demjanjuk noch während des Verfahrens für verhandlungsunfähig erklärt wird oder stirbt. Es geht dem ältesten Reporter am Landgericht München II nicht um Rache. Er will nur ein Urteil - ob ein Tag Haft oder lebenslänglich ist ihm egal.
© Berliner Zeitung

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid