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Ungarn fordert Europa heraus PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 12.04.2010


In Ungarn bahnt sich eine Entwicklung an, die Europa noch beschäftigen wird. Mit Jobbik zieht in Budapest zum ersten Mal eine offen antisemitische und rassistische Partei ins Parlament ein. Schuld daran ist maßgeblich auch derjenige, der das Land in den nächsten Jahren wohl regieren wird: Viktor Orban, Chef des nationalkonservativen Fidesz. Mit kalkulierten Tabubrüchen hat er den Rechtsextremisten den Weg geebnet. Er sprach öffentlich vom "ausländischen Kapital" als Gefahr für Heimat und Familie, die Regierung nannte er "fremdherzig": codierte Begriffe, die verbreitete antisemitische Ressentiments bedienen.


Die Jobbik kündigte offen an, sie werde, einmal an der Macht, die parlamentarischen Regeln beseitigen. Auch Orban hält von diesen nicht viel. Als seine Fidesz 2002 die Wahlen verlor und er als Ministerpräsident zurücktreten musste, sprach er von Wahlbetrug und beschied: "Die Heimat kann nicht in der Opposition sein." Der Fidesz ist die nationale Heimat, seine Gegner sind fremdländische Gesellen, Vaterlandsverräter - so die verquere Logik. Orban verzichtete darauf, ernsthaft im Parlament zu arbeiten, stattdessen organisierte er "Bürgerkreise", die das Parlament belagerten.


Ungarn ist von der Wirtschaftskrise arg gebeutelt. Viele fürchten den sozialen Abstieg, wenden sich enttäuscht von der Politik ab oder erliegen den Schalmeienklängen der Rechtsextremisten, die Juden und Zigeuner für die Misere verantwortlich machen. Juden kontrollieren die multinationalen Konzerne und kaufen ungarisches Land, Zigeuner stehlen und setzten viele Kinder in die Welt, um mehr Sozialhilfe abzusahnen - so verkündet es die Jobbik landauf landab. Juden und Roma, so die versteckte Botschaft, seien keine Ungarn, sondern Fremdkörper, Parasiten. Schon marschiert die von der Jobbik gegründete Ungarische Garde, eine paramilitärische Formation. Ihre rotweißen Fahnen erinnern an die Pfeilkreuzler, die 1944 in Ungarn die Macht übernahmen und tausende Juden in die Donau warfen. Immer wieder tauchen Trupps in Roma-Siedlungen auf, um die Bewohner einzuschüchtern.


Fidesz wird nun allein regieren können. Wird sich die Partei nun mäßigen und als stabiler Hort zwischen den linken Wahlverlierern und den rechten Rabauken empfehlen? Es ist die Hoffnung der Optimisten. Oder wird sie unter dem Druck der erfolgreichen Jobbik weiter ins rechte Fahrwasser abdriften? Es ist die Befürchtung der Pessimisten. Die Jobbik will den Ungarn, die im Ausland als Minderheit leben, die Staatsbürgerschaft antragen. Ein brisantes Vorhaben, mit dem auch der Fidesz liebäugelt. Seine Umsetzung würde in der Slowakei und in Rumänien die Nationalisten aller Seiten stärken.


Die Gefahr einer Destabilisierung der ganzen Region liegt auf der Hand. Zu einem Krieg wie in Jugoslawien wird es nicht mehr kommen. Schließlich sind Ungarn, Rumänien und die Slowakei in der Nato und auch in der Europäischen Union. Diese muss notfalls unter Androhung von Sanktionen auf der Durchsetzung ihrer Standards beharren, vor allem auf dem Schutz der Minderheiten. Am meisten sind in Ungarn die Roma gefährdet.

© Berliner Zeitung

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid