Mittelmacht Türkei PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 30.06.2010


Als erstes Land mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung hat die Türkei 1949 den jungen Staat Israel anerkannt. Nun hat sie ihren Luftraum für israelische Militärflugzeuge gesperrt. Ihren Botschafter hat sie aus Tel Aviv abgezogen. Und es fallen hässliche Worte. Geht eine langährige wunderbare Freundschaft zu Ende? Seit dem militärischen Überfall auf ein Hilfsschiff für Gaza, bei dem neun Türken erschossen wurden, sind die Beziehungen zwischen den beiden Staaten äußerst gespannt.



Doch vieles spricht dafür, dass sich die Türkei und Israel nach einer Phase der Abkühlung wieder annähern - in beiderseitigem Interesse: Israel will weiterhin Drohnen an die Türkei verkaufen, die diese gegen die kurdische Guerilla im Norden Iraks einsetzt. Die Türkei will ihre Position als Regionalmacht festigen und als Vermittler im arabisch-israelischen Konflikt im Spiel bleiben. Daran könnte das heute international ziemlich isolierte Israel schon bald wieder Interesse haben.


Die Türkei vermittelte im Jahr 2008 Gespräche zwischen Syrien und Israel über eine Rückgabe der Golanhöhen. Auch im Konflikt mit der Hamas trat sie als Vermittlerin auf, bis sie vom militärischen Angriff der israelischen Armee auf den Gaza-Streifen vor anderthalb Jahren völlig überrumpelt wurde. Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan war damals tief gekränkt. Es war der Beginn einer Verstimmung zwischen den beiden Staaten, die sich nun zu einer Krise ausgewachsen hat. Dennoch: Letzte Woche flog allem diplomatischen Gezänk zum Trotz eine Gruppe türkischer Offiziere nach Israel, um sich an Drohnen ausbilden zu lassen.


Die Türkei wird künftig jedoch mehr als bisher auf die arabische Welt blicken. Die Koordinaten haben sich längst verschoben. Mit dem Kollaps der Sowjetunion und dem Ende der Blocklogik verlor die Türkei die Rolle eines Frontstaates gegen den Kommunismus und den Nahen Osten. Sie sah sich schon bald nicht mehr von Feinden umzingelt, sondern von Märkten. Schon zu Beginn der 90er- Jahre streckte Turgut Özal, Minister- und Staatspräsident und ein ebenso religiöser Mann wie Erdogan, die außenpolitischen Fühler in die arabische Welt aus.


Erdogan begreift die geostrategische Position der Türkei zwischen Europa, dem Kaukasus und Nahost als Chance und sein Land - ein laizistischer Staat mit einer islamischen Gesellschaft - als einen Brückenkopf zwischen Orient und Okzident. Sein Außenminister Ahmet Davutoglu hat die neue Politik ausgearbeitet, als er noch Universitätsprofessor war. Er spricht vom Konzept der "Strategischen Tiefe". Im wesentlichen geht es um Ausgleich, Handel Konfliktminimierung, gute Nachbarschaft mit allen Anrainerstaaten.


Zwischen Syrien und der Türkei hat sich eine Art privilegierte Partnerschaft eingespielt mit regelmäßigen wirtschaftlichen und politischen Gipfeltreffen. Mit dem kurdischen Nordirak treibt die Türkei einen regen Handel, und die Investitionen nehmen zu. Der Völkermord vor bald hundert Jahren belastet zwar noch immer die Beziehungen zu Armenien, doch ist das Eis seit dem Fußballspiel zwischen den beiden Nationalmannschaften gebrochen. Die Türkei erlaubt Russland, seine South-Stream-Pipeline durch ihre Wirtschaftszone im Schwarzen Meer zu legen. Und vor sechs Wochen ist Erdogan mit dem halben Kabinett nach Griechenland geflogen, um dem sogenannten Erzfeind die Hand auszustrecken.


In diesem Kontext wird verständlich, weshalb die Türkei als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats die Sanktionen gegen den Iran verurteilte. Es hatte nichts mit Freundschaft zu tun, auch nichts mit religiöser Kungelei - beide Staaten konkurrieren um die Vorherrschaft in der Region, die Türkei ist sunnitisch geprägt, der Iran schiitisch. Es geht um Realpolitik: Die Türkei importiert ein Fünftel des Gasbedarfs aus dem Iran, und die türkischen Exporte in den Mullah-Staat haben sich seit 2002 versechsfacht.


Die Öffnung der Türkei hin zur muslimischen Welt bedeutet nun aber nicht eine Abkehr vom Westen. Erdogan hat stets deutlich gemacht, dass er sein Land weiter in die Europäische Union führen will. Nur ist dies nicht mehr das absolut vorrangige Ziel. Die Brüskierungen, die die Türkei von vielen EU-Politikern in den letzten Jahren erfahren hat, mögen sie im neuen außenpolitischen Kurs bestärken.


Die Türkei hat ihre wirtschaftlichen Beziehungen zum arabischen Raum ausgebaut. Durch Anatolien fließen zudem Öl und Gas aus Russland und Zentralasien nach Europa. Ankara hat das Potenzial eines ehrlichen Maklers in vielen Konflikten des Nahen Ostens. Je mächtiger die Türkei ist, desto wertvoller wird sie für den Westen und die EU.

© Berliner Zeitung

 

copyright © 2008 | - Journalist | website designed by: kalle staymann

Der Blick in die Welt, Thomas Schmid