Home .texte [auswahl] .analyse - debatte Die Schweizer Demokratie stößt an ihre Grenzen
Die Schweizer Demokratie stößt an ihre Grenzen PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 29.11.2010


Der Biertisch hat obsiegt. Die Mobilisierung der Ressentiments hat funktioniert. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei, die eine Volksabstimmung über die Abschiebung krimineller Ausländer erzwungen hat, nahm die Ängste der Bevölkerung nie ernst, sondern schürte sie. Ihr Kalkül ist aufgegangen: Wer als Ausländer in der Schweiz raubt, vergewaltigt, vorsätzlich tötet, mit Menschen oder Drogen handelt oder Sozialleistungen erschleicht, wird fortan - so entschieden gestern die Schweizer - ohne viel Federlesen abgeschoben. Der Rechtsweg bleibt ausgeschlossen.



Unter den Tätern, die wegen dieser Delikte im letzten Jahr verurteilt wurden, sind 33 Prozent Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz. In der Gesamtbevölkerung aber machen Ausländer nur 22 Prozent aus. An der Gewaltkriminalität sind sie also überproportional beteiligt - genauso wie Menschen mit schlechter Ausbildung oder mit wenig Einkommen überproportional straffällig werden. 48,5 Prozent der Schweizer sind männlich. Sie stellen aber 94,3 Prozent der Häftlinge. Auch ein Missverhältnis. Die Ausländerkriminalität ist nicht genetisch bedingt, sondern entsteht in einem sozialen und kulturellen Umfeld, ist also auch eine Folge gescheiterter Integration.


Die Mehrheit der in der Schweiz verurteilten kriminellen Ausländer hat jedoch gar keinen Wohnsitz im Land, wird also ohnehin nach Verbüßung der Strafe abgeschoben - wenn das Völkerrecht dies zulässt. Die Schweiz hat die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einfordert, wie auch den Uno-Pakt 2, der das Non-Refoulement-Gebot festschreibt, wonach niemand in ein Land abgeschoben werden darf, wo ihm Folter oder Tod droht.


Entweder müsste im Konfliktfall die Schweiz gegen internationale Abkommen verstoßen oder den neuen Verfassungsartikel missachten. Das Dilemma stellt sich, weil die Schweiz kein Verfassungsgericht kennt und deshalb das Parlament über die Zulässigkeit von Volksinitiativen befindet. Eine Partei aber, die sich für ein Verbot einer Volksabstimmung einsetzt, riskiert, an der Wahlurne abgestraft zu werden. Hier zeigen sich - in Zeiten der globalisierten Welt, die international immer mehr verregelt wird - die Grenzen der helvetischen Demokratie.


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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid