Pflicht zum Schutz |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 21.04.2011
Jetzt rächt sich die Eile, mit der die Autorisierung einer internationalen Militärintervention in Libyen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgepaukt wurde. Vieles ist unklar geblieben, und so wird nun die Resolution 1973 arg strapaziert. Andererseits war Eile geboten. Gaddafis Truppen standen vor einem Monat wenige Kilometer vor Bengasi und hätten die Rebellenhochburg zweifellos erobert, wenn nicht französische und britische Kampfjets ihren Vormarsch aufgehalten hätten. Man mag darüber spekulieren, ob es in der zweitgrößten Stadt Libyens zu einem Massaker gekommen wäre. Doch Gaddafi hatte ein solches ziemlich unverhohlen angekündigt. Und zuzutrauen ist es ihm allemal, hatte er doch einst in wenigen Stunden 1200 wehrlose Häftlinge erschießen lassen. Der
Sicherheitsrat erlaubte "alle notwendigen Maßnahmen" zum Schutz der
Zivilbevölkerung, allerdings verbot er explizit Besatzungstruppen. Was
aber ist notwendig? Zweifellos erschwert die Ausschaltung einer
Kommandozentrale bei Tripolis mögliche Angriffe von Gaddafis Truppen
tausend Kilometer weiter östlich auf die Zivilbevölkerung und dient
insofern deren Schutz. Die Zerstörung von Panzerkolonnen, die sich auf
eine entvölkerte Stadt zu bewegen, erschwert den Angriff auf die
Zivilbevölkerung in der 200 Kilometer weiter entfernt liegenden, noch
bewohnten Stadt. Auch die gezielte Tötung Gaddafis würde wohl dem
Schutz der Zivilbevölkerung dienen, obgleich in der UN-Resolution von
Regimewechsel nicht die Rede ist. Die USA, Großbritannien und Frankreich
haben ihn nun trotzdem offiziell zu ihrem Ziel erkoren. Wo die
Zivilbevölkerung aber am dringendsten des Schutzes bedarf, im seit
sieben Wochen belagerten Misurata, da versagt die Nato. Da Gaddafis
Soldaten sich in Stadtteilen verschanzen, in bewohnten Vierteln Panzer
verstecken und aus Moscheen schießen, ist dies allerdings auch eine
extrem schwierige Aufgabe. Die Lage ist höchst dramatisch. Im einzigen
noch funktionierenden Krankenhaus können die Verletzten nur noch
notdürftig versorgt werden. Die Trinkwasserversorgung ist
zusammengebrochen. Vermutlich gibt es nur zwei Möglichkeiten.
Entweder setzen die Vereinten Nationen einen Waffenstillstand durch und
errichten - ähnlich wie einst im bosnischen Srebrenica - eine
Schutzzone, die allerdings im Notfall auch effizient verteidigt werden
müsste. Oder die Nato geht mit Bodentruppen an Land. Eine
Schutztruppe aus Blauhelmen wäre gewiss keine Besatzungstruppe. Ein
Waffenstillstand aber müsste politisch sowohl gegen Gaddafi wie auch
gegen die Rebellen durchgesetzt werden. Gaddafi bietet zwar einen
Waffenstillstand an, aber nicht glaubhaft. Und die Rebellen begreifen
die Nato längst als natürlichen Bündnispartner, zumal Briten, Franzosen
und Italiener ihnen nun Militärberater schicken wollen und die USA
Waffenhilfe erwägen. Die Rebellen werfen der Nato mangelnde
Unterstützung vor und versuchen, das westliche Militärbündnis für ihre
eigenen Ziele zu instrumentalisieren. Kommt es zu keinem
Waffenstillstand, werden nur Bodentruppen der von schwerer Artillerie
beschossenen Bevölkerung in Misurata Hilfe bringen können. Westerwelle
irrt, wenn er behauptet, die UN-Resolution verbiete einen solchen
Einsatz. Nur Besatzungstruppen sind ausgeschlossen, das ist ein kleiner
Unterschied. Anders als die Bombardierung militärischer Ziele würde der
Einsatz von Bodentruppen zur Errichtung eines humanitären Korridors
allerdings die Gefahr von Toten in den eigenen Reihen bedeuten. Deshalb
ist eine solche Strategie nach dem Debakel in Afghanistan in vielen
Ländern innenpolitisch nur schwer durchsetzbar. Vornehmlich aus
innenpolitischen Gründen auch hat Frankreich die UN-Resolution
gutgeheißen. Präsident Nicolas Sarkozy hoffte, in der Pose des Feldherrn
sein arg beschädigtes Image aufpolieren zu können. Ebenfalls aus
innenpolitischen Gründen hat die deutsche Regierung die Resolution
abgelehnt - in Baden-Württemberg standen Landtagswahlen an. Beidseits
des Rheins setzten opportunistische innenpolitische Erwägungen einer
vernünftigen Außenpolitik Schranken. Im übrigen aber hat
Westerwelle durchaus recht, wenn er sagt, dass in Libyen letztlich eine
politische Lösung gefunden werden müsse. Das wiederum aber ist -
angesichts des militärischen Patts erst recht - eine reichlich banale
Erkenntnis. Zur Lösung der dringenden Probleme trägt sie nichts bei. |