Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 21.05.2012
Die Griechen haben falsch gewählt, jetzt müssen sie noch mal
an die Urne. Und damit nicht wieder alles schief geht, hagelt es
allenthalben schlecht verblümte Wahlempfehlungen - vor allem aus
Deutschland, zuletzt von Außenminister Guido Westerwelle,
Bundesbankpräsident Jens Weidmann und von Finanzminister Wolfgang
Schäuble, der recht scheinheilig betont, er habe "nicht die Absicht, in
den griechischen Wahlkampf einzugreifen".
Viele Griechen
fühlen sich in ihrem Stolz verletzt, wenn die Ausländer, die schon
ihre Finanzpolitik kontrollieren, ihnen auch noch sagen, wen sie zu
wählen haben. Als dann Angela Merkel bei Staatspräsident Karolos
Papoulias noch vorfühlte, ob man die Wahlen nicht mit einem
Referendum verbinden könnte, schäumte die griechische Volksseele. Ein
Referendum über das Sparpaket - just das hatte vor einem halben Jahr
Giorgos Papandreou angekündigt. Merkel und Sarkozy hatten Himmel und
Hölle in Bewegung gesetzt, um ihm die Idee auszutreiben. Papandreou
gab auf.
Vor zwei Wochen gab es ein deutliches Votum der
Wutbürger. Die Wut aufs radikale Sparprogramm, das zur Verelendung
breiter Volksschichten führte, ist groß. So stimmten fast zwei
Drittel der Griechen für Parteien, die das Diktat der Troika aus EU, EZB
und IWF ablehnen - für Linkssozialisten, Kommunisten,
Rechtspopulisten und Faschisten, die zusammen eine knappe Mehrheit
der Sitze eroberten. Für eine Linksregierung reichte es bei Weitem
nicht, und die Bildung eines Notkabinetts scheiterte vor allem an
Syriza.
Jetzt sollen aus Wutbürgern Angstbürger werden. Die
sozialdemokratische Pasok und die konservative ND warnen - wie
Westerwelle, Weidmann und Schäuble -, dass ein Wahlsieg von Syriza den
Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zur Folge hätte. 80 Prozent
aller Griechen aber wollen den Euro behalten. Nun befürchten viele
dessen Verlust. Zu Recht. Die Rückkehr zur Drachme ist inzwischen
eine realistische Perspektive. So stimmen möglicherweise viele, die
vor zwei Wochen aus Wut radikale Parteien gewählt haben, nun aus
Angst just für diejenigen Parteien, die das Land fast 40 Jahre lang
abwechselnd regiert und mit ihrer Klientelwirtschaft den Schlamassel
erst herbeigeführt haben, aus dem Griechenland ohne fremde Hilfe nun
nicht mehr herauskommt.
Alexis Tsipras, der eigentliche
Wahlsieger vom 6. Mai, hofft, dass seine Syriza, die vor zwei Wochen
nur knapp hinter der ND auf dem zweiten Platz landete, in vier Wochen
weitere Stimmen hinzugewinnt und die Siegerprämie von 50 zusätzlichen
Parlamentssitzen einstreicht, die das Wahlrecht der stärksten
Partei zubilligt. Selbst dann aber würde es für eine Linksregierung
höchstwahrscheinlich nicht reichen, aber das Land könnte unregierbar
werden. Die Rückkehr zur Drachme wäre dann kaum mehr zu vermeiden.
Für Griechenland käme dies einer Abwertung seiner Währung gleich.
Die Importe, deren Volumen die Exporte bei Weitem übersteigt, würden
sich verteuern, die Schulden müssten weiterhin in Euro beglichen
werden, und eine Rekapitalisierung der vom Schuldenschnitt arg
gebeutelten griechischen Privatbanken wäre äußerst schwierig.
Tsipras, ein begnadeter Populist, will zwar im Euro-Raum
bleiben, aber das Memorandum, in dem die Finanzhilfe an das Sparpaket
geknüpft wurde, sofort aufkünden und die Bedienung der
Auslandsschulden einstellen. Die Drohung mit der Rückkehr zur Drachme
hält er für einen Bluff. Sein Credo: Europa könne sich gar nicht
leisten, Griechenland fallen zu lassen. Da pokert er gefährlich
hoch. In Berlin und Frankfurt schwindet die Bereitschaft, dem
bankrotten Staat unter die Arme zu greifen, in dem Maß wie die Hoffnung
wächst, dass die Euro-Rettungsschirme die Auswirkungen eines
griechischen Debakels einzugrenzen vermögen.
Auf ihrem Gipfel
beteuerten die G8-Staaten am Wochenende, Griechenland müsse in
der Euro-Zone verbleiben - solange es seinen Verpflichtungen
nachkomme. Merkel, unter Druck von Obama und Hollande, spricht nun
immer häufiger auch von einer Wachstumsstrategie. Doch es reicht nicht.
Angesichts des eklatanten Scheiterns der radikalen Sparkur muss
über die Verpflichtungen, über das Sparpaket, geredet werden.
Fristen könnten gestreckt und Zinsen für Schulden gesenkt werden. Auch
eine temporäre Stundung der Schulden ist ins Auge zu fassen.
Eine solche Strategie böte zwei Vorteile: Die griechische Wirtschaft
hätte die Chance, sich Luft zu verschaffen, um wieder auf die Beine zu
kommen. Und die Griechen sähen vielleicht Licht am Ende des Tunnels
und würden den populistischen Versuchungen widerstehen.
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