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Ein Zeichen in Budapest PDF Drucken
Thomas Schmid, Frankfurter Rundschau, 08.05.2013

Viktor Orbán errichtet einen autoritären Staat, vergiftet die Beziehungen zu Ungarns Nachbarstaaten und lässt Hetze gegen Juden und Roma zu. Die EU muss einschreiten.

Der Jüdische Weltkongress (WJC) hat ein starkes Zeichen gesetzt. Er hielt seine Plenarversammlung mit Bedacht in Budapest ab - aus Solidarität mit den von einer offen antisemitischen Partei bedrohten ungarischen Juden und Roma und aus Protest gegen eine Regierung, die gegen den erstarkenden Rassismus in ihrem Land nichts unternimmt.

Schon im Vorfeld der Tagung hatte WJC-Präsident Ronald S. Lauder dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán öffentlich vorgeworfen, „seinen politischen Kompass verloren“ zu haben und dem „rechten Rand nach dem  Mund“ zu reden.  Orbán,  der sich unfreiwillig in der Rolle des Gastgebers wiederfand, verurteilte  in seiner Rede auf der WJC -Tagung  zwar den Antisemitismus: Judenfeindlichkeit sei „nicht akzeptabel und nicht hinnehmbar“.  Doch es waren wohlfeile Worte, mehr nicht. „Der Ministerpräsident hat nicht die wahre Natur des Problems angesprochen“, kritisierte der WJC  umgehend in einer Erklärung.

In der Tat: auf Jobbik ging Orbán mit keinem Satz ein. Jobbik hat bei den letzten Wahlen 17 Prozent der Stimmen erhalten. Ihr Chef, Gabor Vona, forderte am Sonntag die Juden auf, sich für die Verbrechen  der kommunistischen Herrschaft zu entschuldigen. Ihr Abgeordneter Marton Gyöngyösi  hatte im November im Parlament die Erfassung aller Juden auf Listen gefordert, weil sie ein nationales Sicherheitsrisiko seien. Jobbik fordert Arbeitslager für Roma und unterhält eine verbotene, aber  eben doch tolerierte Schlägertruppe, die in martialischer Uniform Terror verbreitet.

Jobbik will ein Großungarn schaffen, wie es vor dem Trianon-Vertrag von 1920 bestanden hat, der das Ende der Habsburger Doppelmonarchie besiegelte. Jobbik verherrlicht das Horthy-Regime, das mit Hitler kollaborierte und für  eine halbe Million Juden den Tod bedeutete. Und noch mehr verherrlicht Jobbik das noch radikalere Regime der Pfeilkreuzler, das in den letzten fünf Monaten vor der Eroberung ganz Ungarns durch die Rote Armee eine Schreckensherrschaft errichtete.
Jobbik (auf deutsch: Die Besseren) ist ein Problem. Ein großes Problem. Aber das womöglich noch größere heißt Fidesz.  Die Abkürzung steht für „Ungarischer Bürgerbund“. Fidesz, im Europarlament mit der CDU in einer Fraktion vereinigt, hat bei den letzten Parlamentswahlen eine Zweidrittelmehrheit gewonnen. Ihr Parteichef heißt Viktor Orbán, und der ist nun seit drei Jahren schon Regierungschef.

Orban hat nach seinem Wahlsieg 2010 eine „nationale Revolution“ ausgerufen. Et lässt Jobbik gewähren und übernimmt zum Teil ihre Forderungen, weil er Angst hat, bei den Wahlen im kommenden Jahr Stimmen an  sie zu verlieren. Jobbik schlägt aus dieser Angst Kapital. Immer wieder treibt sie den Ministerpräsidenten vor sich her. Manchmal ist es auch nur ein Spiel mit verteilten Rollen - die seriöse Fidesz gegen die rebellische Jobbik. Auf lokaler Ebene arbeiten die Parteien manchmal offen zusammen - etwa wenn es darum geht, Straßen umzubenennen oder Großkopfeten des ungarischen Nationalismus Denkmäler zu setzen. Im vergangenen Jahr nahm der Parlamentspräsident Laszló Kövér, ein Fidesz-Mann, an einer Gedenkfeier für den Pfeilkreuzler-Ideologen Jszef Nyírö teil.

Im Rahmen seiner „nationalen Revolution“  schränkte Orbán die Pressefreiheit ein und hebelte die Gewaltenteilung aus. Mitunter gab er dem Druck der EU ein bisschen nach – ganz nach der Maxime: ein Schritt zurück, zwei Schritte vor. Im März änderte er mit seiner Zweidrittelmehrheit die Verfassung und entmachtete das Verfassungsgericht. Nun steht ihm ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren ins Haus. Von seinem Kurs aber bringt ihn das nicht ab.

Denn Orbán hat eine Mission. Er will Ungarn zu nationaler Größe verhelfen. Dazu gehört auch die Tilgung der „Schmach von Trianon“. Es könne nur ein Vaterland geben, sagte er vor einem halben Jahr, „das fähig ist, alle Ungarn diesseits und jenseits der Trianongrenze in einer einzigen Gemeinschaft zu vereinigen“.  Jobbik fordert einen großungarischen Staat, Orbán nur eine Gemeinschaft aller Ungarn. Auch er zündelt mit der nationalen Frage, die unter kommunistischer Herrschaft immer tabuisiert war.  Und er vergiftet damit die Beziehungen zu den Nachbarstaaten Slowakei, Rumänien und Serbien, in denen starke ungarische Minderheiten leben.

Orbán hat in Ungarn den Rechtsstaat Stück um Stück abgebaut, er gefährdet die gute Nachbarschaft unter EU-Staaten und er sorgt nicht für den nötigen Schutz von bedrohten Minderheiten in seinem Land. Die EU-Partner müssen einschreiten. Gewiss, man muss aufpassen, dass man die antieuropäischen Affekte und die Wagenburg-Mentalität, die Fidesz und Jobbik in Ungarn nach Kräften fördern, nicht noch verstärkt. Aber Vertragsverletzungsverfahren allein reichen nicht mehr. Phantasie und Feingefühl sind gefragt. Vielleicht sollte die EU-Kommission, wenn sie sich mit Pressefreiheit, Minderheitenschutz oder Justizreform befasst, ihre Tagungen nach Budapest verlegen - um, wie der Jüdische Weltkongress, ein deutliches Zeichen zu setzen.


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