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Hausarrest oder gemeinnützige Arbeit PDF Drucken


Thomas Schmid, Frankfurter Rundschau, 03.07.2013

Vor 20 Jahren startete Silvio Berlusconi seine politische Karriere. „Ich bin gezwungen, in die Politik zu gehen“, bekannte er damals freimütig, „denn andernfalls werden sie mich ins Gefängnis werfen.“ Über zwei Dutzend Prozesse wegen aktiver Bestechung, Bilanzfälschung, Steuerbetrug, Meineid und andern Delikten hat der Tausendsassa, der es in kürzester Zeit vom Schnulzensänger zum Ministerpräsidenten und vom armen Schlucker zum reichsten Mann Italiens gebracht hat, ohne rechtskräftige Verurteilung überstanden – aufgrund von Gesetzen, die er sich als Regierungschef maßschneidern ließ. Delikte wie Bilanzfälschung wurden entkriminalisiert und fortan etwa wie Falschparken geahndet. Die Verjährungsfristen wurden verkürzt, sodass viele Prozesse dank trickreicher Verschleppung versandeten.

Nun ist Berlusconi das erste Mal rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er wird sie nicht absitzen müssen. Vor einer Inhaftierung schützt ihn diesmal nicht die Politik, sondern sein Alter. Als 76-Jähriger kann er wählen zwischen Hausarrest und Sozialarbeit. Dem Rechtsempfinden vieler Italiener ist mit dem Urteil Genüge getan. Denn endlich ist Schluss mit der Devise: Wer das Geld hat, hat die Macht, und wer die Macht, hat das Recht. Endlich gilt: gleiches Recht für alle. Berlusconis Anhänger hingegen – bei den Wahlen im Februar hat seine Partei 22 Prozent der Stimmen erhalten - mögen ihn als Opfer einer rachedurstigen Justiz sehen, ihn gar zum Märtyrer stilisieren. Der erfolgreiche Unternehmer personifizierte die Erfüllung ihrer Träume von einer sorglosen Welt, die seine Fernsehsender einem Millionenpublikum pausenlos unterjubelt. Viele sind seinem Zauberwerk erlegen, und eine Verblendung zu heilen, braucht seine Zeit.

Das Mailänder Berufungsgericht hatte Berlusconi zudem für fünf Jahre von allen politischen Ämtern ausgeschlossen. In diesem Punkt hat das Römer Kassationsgericht das Urteil nicht bestätigt, sondern es an die Mäiländer zur Neubegutachtung zurückverwiesen.

Trotzdem, das Urteil birgt Sprengstoff, vielleicht mit Spätzünder. Zwanzig Jahre lang haben sich das linke und rechte Lager gnadenlos bekämpft. Seit drei Monaten aber regieren sie zusammen. Noch. Einige Abgeordnete der linken Demokratischen Partei empfinden die Allianz mit einer Partei, deren ungekrönter König, Berlusconi, als Steuerbetrüger unter Hausarrest steht, als eine Zumutung. Umgekehrt haben Abgeordnete von Berlusconis Partei Volk der Freiheit für den Fall einer Verurteilung ihres Chefs einen Rückzug aus der Koalition angekündigt. Als ob es in Italien keine Gewaltenteilung gäbe. Trotzdem, morgen wird die Regierung nicht zerbrechen. Aber dass sie eine Wahlperiode übersteht, ist höchst unwahrscheinlich.

Neuwahlen will vorerst keiner. Berlusconi nicht, weil mit ihm nun auch seine Partei politisch schwer angeschlagen ist. Die Linke nicht, weil sie zerstritten ist und ein offenkundiges Führungsproblem hat. Und auch die Bewegung der Fünf Sterne des Komikers Beppe Grillo nicht, die bei den Wahlen zur Camera, der großen Kammer des Parlaments, überraschend am meisten Stimmen erzielte, bei den Kommunalwahlen drei Monate später aber die Hälfte ihrer Wähler schon wieder verlor.

Italien wird also vermutlich politisch erst einmal sich durchschleppen, dahinsiechen. Die nötigen Strukturreformen, die das wirtschaftlich abgehängte Italien wieder auf Vordermann bringen könnten, wird eine kriselnde große Koalition allerdings nicht anpacken. Dafür braucht es geklärte politische Verhältnisse: Die Überwindung der innerparteilichen Krise auf der Linken, die Emanzipation von Berlusconi auf der Rechten. Und auch die Bewegung der Fünf Sterne, die mit Verve und Vernunft zahlreiche Missstände offengelegt hat. muss sich von ihrem Chef emanzipieren, wenn sie eine politische Rolle spielen will. Sie hat etwas Besseres verdient als Grillo, der in populistischer Manier alles Politische verteufelt und sich als Antipolitiker aufspielt.

So wie es ihm sein Todfeind Berlusconi einst vorgemacht hat. Auch der schimpfte immerzu auf die politische Klasse und vor allem auf die Staatsanwälte einer angeblich kommunistisch unterwanderten Justiz. Er verhöhnte die Richter als rote Roben, die nur ein Ziel hätten: seinen Sturz. Ironie der Geschichte: Dank der Justiz nur kam Berlusconi an die Macht. Zu Beginn der 90er Jahre deckten die mutigen Staatsanwälte der Mani Pulite (Saubere Hände) ein weit verzweigtes System von Korruption und illegaler Parteifinanzierung auf, in das Spitzenpolitiker, Unternehmer, Generäle und Richter verwickelt waren. Die erste Republik, wesentlich geprägt von der Christdemokratischen Partei, die sich quasi über Nacht auflöste, brach zusammen. Aus ihren Ruinen tauchte wie ein Phönix aus der Asche der große Zauberer Berlusconi auf. Fast 20 Jahre später kam er nun zu Fall – dank der Justiz. Doch mit Störmanövern ist noch zu rechnen. Daran wird ihn kein Hausarrest – pardon: Palastarrest - hindern.

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid