Home .texte [auswahl] .porträts JOHANNES LEPSIUS - Freund der Armenier und deutscher Patriot
JOHANNES LEPSIUS - Freund der Armenier und deutscher Patriot PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 24.04.2015



Der in Berlin geborene Pastor Johannes Lepsius wollte die Öffentlichkeit 1915 über den Genozid aufklären _ und scheiterte.


Spätestens seit den peinlichen Querelen, ob man einen Völkermord Völkermord nennen darf, ist der Genozid, dem im Osmanischen Reich 800 000 bis 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Heute wird auch der Bundestag an die Verbrechen von damals erinnern. Damals, vor hundert Jahren, versuchte Johannes Lepsius, ein in Berlin geborener Pastor, die Öffentlichkeit über den Völkermord an den Armeniern aufzuklären. Vergeblich - weil das Deutsche Reich in den Völkermord verstrickt war.



Schon 1896 hatte Lepsius in Berlin das Armenische Hilfswerk gegründet. Er hatte als Pfarrer einer kleinen Gemeinde im Harz von den Pogromen erfahren, denen im Osmanischen Reich 1894-1896 zwischen 80 000 und 300 000 Armenier zum Opfer fielen. Als Teppichfabrikant getarnt, brach er 1896 nach Anatolien auf und traf in Urfa die amerikanische Missionarin Corinna Shattuck, die mit eigenen Augen gesehen hatte, wie ein aufgehetzter Mob eine Kirche in Brand setzte, in die sich 1 500 Armenier geflüchtet hatten.

Lepsius war entsetzt, sein Hilfwerk baute in Urfa ein Krankenhaus und eine Teppichknüpferei auf, um Witwen und Waisen Arbeit zu bieten. Er selbst schrieb eine stattliche Reihe von Artikeln über die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich, die 1896 als Buch erschienen - unter dem Titel "Armenien und Europa. Eine Anklageschrift wider die christlichen Großmächte und ein Aufruf an das christliche Deutschland."

Als Lepsius 1915 wieder von Massakern an Armeniern hört, reist er mitten im Ersten Weltkrieg - das Osmanische Reich ist Deutschlands Verbündeter - erneut nach Anatolien. Zwei Krankenschwestern, die Norwegerin Thora von Wedel und die Deutsche Eva Elvers, Augenzeuginnen der Deportation der Armenier aus Erzincan, berichten ihm von der Ermordung Tausender in der Kemah-Schlucht am oberen Euphrat. Seiner Frau schreibt er Anfang August aus Istanbul: "Es ist unsagbar, was geschehen ist. Die vollkommene Ausrottung ist das Ziel."

Schließlich gelingt es dem Pastor, von Enver Pascha, dem Kriegsminister des Osmanischen Reichs, empfangen zu werden. Er hofft, den Initiator und einen der Hauptverantwortlichen des Völkermords, der fließend Deutsch spricht, umstimmen zu können. Lepsius hat das Gespräch, bei dem er offenbar schroff abgebügelt wurde, selbst protokolliert. Auf die Massaker an den Armeniern angesprochen, habe Talaat Pascha gesagt: "Wir können mit unseren inneren Feinden fertig werden, Sie in Deutschland können das nicht."

Zurück in seiner Heimat beruft Lepsius eine Pressekonferenz ein. Doch die deutschen Zeitungen sind angehalten, sich an die offiziellen Verlautbarungen des Osmanischen Reichs zu halten. Und als der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Liebknecht 1916 im Parlament den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg fragt, ob er wisse, "dass Professor Lepsius gerade von einer Ausrottung der türkischen Armenier" gesprochen habe, wird ihm das Wort entzogen.

Lepsius gibt nicht auf. Er schreibt einen dreihundert Seiten dicken "Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei", lässt 20 500 Exemplare privat drucken und im ganzen Deutschen Reich verteilen. Doch schon bald schlägt die Militärzensur zu. Das Buch wird verboten. Lepsius flüchtet sich ins holländische Exil.

Nach Kriegsende gab Lepsius im Auftrag des Auswärtigen Amtes 1919 die von ihm kommentierte Dokumentensammlung "Deutschland und Armenien" heraus. Man stellte ihm allerdings nur Kopien der Dokumente zur Verfügung, und zum Teil waren sie gekürzt oder gar verfälscht. Die deutsche Mitschuld am Genozid sollte nicht zur Sprache kommen. Das war offenbar auch in Lepsius' Sinn, der nicht nur ein großer Freund der Armenier war, sondern auch ein großer Patriot, der sich den militärischen Sieg Deutschlands erhoffte.

1921 wurde an der Hardenbergstraße in Charlottenburg Talaat Pascha, der Hauptverantwortliche am Genozid, vom armenischen Studenten Soghomon Tehlirjan ermordet. Im Strafprozess gegen den Mörder bot die Verteidigung Lepsius als Hauptzeugen auf. Eindringlich berichtete der Pastor von den Massakern und gab Talaat Pascha die Hauptschuld am Genozid. Von der Mitschuld der Deutschen war vor Gericht nicht die Rede.

Deutsche Offiziere hatten die osmanischen Truppen kommandiert. Generalstabschef des türkischen Heeres war der preußische Generalmajor Fritz Bronsart von Schellendorf. Hohe deutsche Militärs und Diplomaten hatten den Völkermord an den Armeniern begrüßt und Beihilfe geleistet. Das alles wusste Johannes Lepsius zweifellos auch - und schwieg.


© Berliner Zeitung


PS: In der publizierten Fassung ist mir leider ein Fehler unterlaufen. Lepsius hat in Istanbul nicht mit dem Innenminister Talaat Pascha, sondern mit dem Kriegsminister Enver Pascha gesprochen. Beide gehörten dem Triumvirat der Jungtürken an. Der Fehler ist in der oben stehenden Fassung korrigiert.

 

copyright © 2008 | - Journalist | website designed by: kalle staymann

Der Blick in die Welt, Thomas Schmid