Griechenland
Willkommen auf Lesbos PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 04-11-2015


Vor Lesbos spielen sich dramatische Szenen ab. Täglich stranden hier tausende Mittelmeerflüchtlinge, mehr als an jedem andern Ort Europas. Sie werden von kleinen ausländischen Hilfsorganisationen empfangen und mit dem Nötigsten versorgt, oft auch aus stürmischer See gerettet.


SKALA SKAMNIAS (LESBOS). Die alte Frau steht da wie festgewurzelt, neben einer Feuerstelle mit Resten von verkohltem Holz. Sie hält einen langen Ast in die Höhe, an dessen Ende eine Schwimmweste in grellem Orange flattert. Es ist stürmisch. Das Meer tobt. Die Gischt klatscht an die Felsen. Und die Frau steht einfach da und hält ihre leuchtende Fahne in den Wind. Ihr Haus liegt direkt an der unbefestigten Küstenstraße, etwas außerhalb des Dorfes. Vor dem kleinen Stall meckert eine Ziege. Unter den Olivenbäumen scharren Hühner. Nachts macht die Bäuerin vor ihrem Haus ein Feuer an. Sie signalisiert den Flüchtlingen, wo das Wasser flach ist, wo sie anlanden können. Ihren Namen mag sie nicht nennen. „Ich bin nicht wichtig“, sagt sie.


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Die Angst vor dem Crash PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.02.2015

In Griechenland wird hoch gepokert. Steht das Land vor dem Grexit oder stolpert es in die nächste Runde? Immer mehr Bürger plündern ihre
Konten.

ATHEN. Der alte Mann hat eine Botschaft. In kariertem Barchenthemd und mit schwarzer Baskenmütze hat er sich vor dem ehemaligen Königspalast aufgestellt, in dem heute das griechische Parlament tagt. Reglos wie eine Statue steht er da, spricht mit niemandem, schaut niemanden an. Auch unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen zuckt er mit keiner Wimper. In der rechten hochgereckten Hand hält er offene Handschellen, in der linken ein Plakat: „Diebe ins Gefängnis“. Mit den Dieben meint er ganz offensichtlich die korrupte Politikerkaste, die mit ihrer Vetternwirtschaft das Land in den Ruin getrieben hat.

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Der Tag der Entscheidung PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 15.06.2012


Am Sonntag wählen die Griechen ein neues Parlament. Ein Besuch bei ein paar Wählern, von denen jeder eine ganz eigene Wahrheit zu haben scheint.


ATHEN. Ein Gespenst geht um in Athen. Es verbreitet Angst und hat einen Namen: Grexit. Dies ist das Kürzel für Griechenlands Exit aus der Eurozone. Die Griechen räumen ihre Konten. Dreistellige Millionenbeträge werden täglich von den Banken abgezogen. Wenn die vom charismatischen Alexis Tsipras geführte Linkspartei Syriza am Sonntag die Wahlen gewinnt, werde das Land zur Drachme zurückkehren müssen und letztlich kollabieren: Mit dieser bald offen, bald unterschwellig vorgetragenen Botschaft werden die Griechen seit Tagen bombardiert - aus dem Inland mit Vorliebe von jenen Parteien, die den Schlamassel zu verantworten haben, aus dem Ausland vor allem von den Deutschen, auf die manch einer seine Aggression projiziert.

Angst vor dem Kollaps? Ilias Katsogiannis setzt ein gequältes Lächeln auf. Bei ihm ist der längst angekommen. Der 35-Jährige raucht

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Landlust PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 05.052012


Die Krise drückt, doch die Griechen verzagen nicht. Grün ist die Hoffnung: Sie werden Bauern, gründen Kartoffel-Bürgerinitiativen oder erfinden neue Währungen.


THESSALONIKI. Der schlaksige Mann bückt sich, zupft einige Blättchen von seinen Pflanzen, zerreibt sie zwischen Daumen und Zeigefinger und hält dem Besucher Krümel unter die Nase. "Hier, riech mal!" Thymian, Oregano, Rosmarin, Lavendel. Grigoris ist stolz auf sein kleines Paradies, in dem auch Rhabarber und Rote Bete wachsen. Und mitten zwischen Salaten und Tomaten steht ein junger Olivenbaum. Noch ist sein Holz geschmeidig und glatt. Früchte wird er bestenfalls in fünf Jahren tragen, vielleicht auch erst in zehn. Ob Grigoris sie je pflücken wird, weiß er nicht. Wie lange wird er, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will, es hier allein aushalten? Der 19-Jährige, aufgewachsen in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands, ist nach dem Abitur aufs Land gezogen, nach Epanomi, ins leer stehende Haus seiner Großeltern auf der Halbinsel Chalkidiki.

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Abgestürzt PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 11.02.2012


Der Sparkurs, der Griechenland aufgezwungen wurde, hat Zehntausende ins Elend getrieben. In Athen ist die Zahl der Obdachlosen dramatisch angestiegen.


ATHEN. Vor zwei Jahren noch hat Markos in seinem Gebirgsdorf auf dem Peleponnes ein kleines Stück Land bebaut, Weinstöcke beschnitten und Oliven gepresst. Nun liegt er in sechs schmutzige Steppdecken gehüllt, drei über sich, drei unter sich, auf dem Bürgersteig einer Gasse in der Altstadt von Athen. Neben ihm schlafen vier Männer. Markos hält Wache. Es ist kurz vor Mitternacht. "Die Marokkaner haben Messer", sagt er, "sie rauben uns aus."

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Wie eine Decke aus Blei PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 07.11.2011


Athen ist fest im Griff der Rezession. An Hilfe durch die Politik glaubt hier niemand mehr. Unter den Menschen machen sich Hoffnungslosigkeit und Resignation breit.


Die Fokionos-Negri-Allee gehörte vor noch nicht allzu langer Zeit zu den Prachtboulevards der griechischen Hauptstadt. Cafés säumen die Fußgängerzone, Bauhaus-Stil und Art Déco zeugen von glanzvollen Zeiten. Vergangenen Zeiten. Der Brunnen ist trockegelegt. Der Rasen ungepflegt. Die Hälfte der Läden steht zum Verkauf aus. Und unten an der Ecke, wo eine Kirche seit Wochen geschlossen ist, weil niemand die Schäden eines Kabelbrandes beseitigt, ist das Pflaster aufgerissen. Ein Kiosk stand einst hier. Doch der Händler hat aufgegeben und ihn abmontiert.

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Viel Provinz und wenig Geld PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 18.05.2011


Die griechische Depression hat sich längst von Athen aus bis in den letzten Winkel des Landes ausgebreitet. In Kozani schließen die Zechen, in Naoussa hoffen sie auf Alexander den Großen


KOZANI/NAOUSSA. Die Kundschaft wurde weniger. Eines Tages konnte Dimitris die Miete nicht mehr zahlen. Schließlich räumte er seinen Jeans-Laden, nach nur zwei Jahren. "Wäre ich bloß in Deutschland geblieben", ärgert sich der Grieche, der in Gelsenkirchen Früchte und Gemüse verkaufte, "wir lebten nicht schlecht, aber meine Frau wollte zurück." Nun verbringt er seine Tage auf dem Hauptplatz von Kozani und schlürft kalten Kaffee. Wie Kostas, mit dem Dimitris einst die Schulbank gedrückt hat. Der hat sein Restaurant vor einer Woche dichtgemacht: "Meine Stammgäste aßen immer häufiger selbst am Sonntag lieber zu Hause." Und Orestis, der zwanzig Jahre als Typograf in einer Klitsche arbeitete, die zu Jahresbeginn Insolvenz anmeldete, sagt nur: "Mein Leben ist zu Ende. Mit 45 kriege ich doch nirgends mehr einen Job. Was aus den drei Kindern einmal werden soll, weiß ich nicht. Wahrscheinlich werden sie auswandern."

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