Ungarn
Nach dem Dunkel das Licht PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 23.05.2017

In Ungarn wächst der Protest gegen die  Regierung, die die Lehrfreiheit einschränken und kritische Organisationen der Zivilgesellschaft an die Kandare nehmen will.

Die Straßen sind düster. Es stinkt nach Urin. Ein Besoffener taumelt die Straße längs, zwei Chinesen huschen vorbei. Der achte Bezirk von Budapest, die Josefstadt, zwischen dem Ostbahnhof und der Donau gelegen, war ursprünglich ein aristokratisches Viertel, später hatte es lange den Ruf eines Sündenpfuhls, heute ist es – zumindest in den Seitenstraßen - ziemlich heruntergekommen. Hier leben mehr Roma als anderswo in der Stadt, und in jüngerer Zeit haben sich auch Zuwanderer aus dem Fernen Osten im achten Bezirk niedergelassen. Hier, wo alles etwas grau und schmuddelig ist, steht die „Aurora“, ein Haus der Widerspenstigen, jener, die sich mit den bleiernen Verhältnissen im heutigen Ungarn nicht abfinden wollen. Aurora ist die Göttin der Morgenröte. Nach der Nacht kommt der Tag, nach dem Dunkel das Licht. Aber vielleicht ist das Haus ganz einfach nach der Straße benannt, an dem es steht, der Aurora utca.

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Der Zaun PDF Drucken

THOMAS SCHMID, Berliner Zeitung, 31.08.2015

Ungarn sperrt die Grenze zu Serbien mit Stacheldraht ab. So will man Flüchtlinge aufhalten. In Wahrheit aber soll vor allem das eigene Volk beruhigt werden



SZEGED. Der Schienenstrang verläuft schnurgerade durch die ebene Landschaft. Ganz hinten am Horizont, da wo sich die beiden Schienen zu berühren scheinen, sind kleine dunkle Punkte wahrnehmbar. Sie bewegen sich, kommen näher, werden größer und größer. Es sind Menschen, die auf dem Bahndamm daherkommen. Gruppen von Menschen. Jetzt sieht man deutlich, dass sie Beutel, Rucksäcke oder kleine Kinder tragen.


Sie schweigen, fragen nichts, lächeln verlegen zurück. Nur einer sagt "Salam alaikum". Er heißt Khaled, war in Damaskus medizinisch-technischer Assistent und hat ein dickes, von Narben übersätes Bein. Eine "barrel bomb" habe ihn erwischt, erklärt er in brüchigem Englisch, eine dieser mit Nägeln und Metallteilen gefüllten Fassbomben, die das syrische Regime aus Hubschraubern auf die Zivilbevölkerung abwerfen lässt. Jetzt geht er am Stock, wie seine alte Mutter auch. Er verabschiedet sich, dann humpeln beide weiter über die Eisenbahnschwellen, um den Anschluss an die Gruppe nicht zu verpassen.
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Die Angst der Roma vor den Schwarz-Jacken PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 13.04.2010

REGIERUNGSWECHSEL IN UNGARN - Die Konservativen lösen nach acht Jahren die Sozialisten in Budapest ab. Dritte Kraft wird die rechtsextreme Jobbik-Partei, die mit ihrer paramilitärischen Garde die Minderheiten bekämpft.

BUDAPEST. Schmucke Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Blühende Begonien in gepflegten Gärten, durch Zäune klar abgetrennte Grundstücke, bewacht von Hunden. In Kistarcsa, einem Dorf zwanzig Kilometer außerhalb von Budapest, ist alles sauber, aufgeräumt, ordentlich. Fast alles. Über eine nicht asphaltierte Straße, die nach jedem Regenguss zur Schlammpiste wird, erreicht man die Siedlung, in der 400 Roma wohnen. In Ungarn nennt man sie gewöhnlich "Ciganyok", Zigeuner. Solange der Tonfall stimmt, ist dies nicht unbedingt abschätzig gemeint.

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid