Nach dem Dunkel das Licht |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 23.05.2017
In Ungarn wächst der Protest gegen die Regierung, die die Lehrfreiheit einschränken und kritische Organisationen der Zivilgesellschaft an die Kandare nehmen will.
Die Straßen sind düster. Es stinkt nach Urin. Ein Besoffener taumelt die Straße längs, zwei Chinesen huschen vorbei. Der achte Bezirk von Budapest, die Josefstadt, zwischen dem Ostbahnhof und der Donau gelegen, war ursprünglich ein aristokratisches Viertel, später hatte es lange den Ruf eines Sündenpfuhls, heute ist es – zumindest in den Seitenstraßen - ziemlich heruntergekommen. Hier leben mehr Roma als anderswo in der Stadt, und in jüngerer Zeit haben sich auch Zuwanderer aus dem Fernen Osten im achten Bezirk niedergelassen. Hier, wo alles etwas grau und schmuddelig ist, steht die „Aurora“, ein Haus der Widerspenstigen, jener, die sich mit den bleiernen Verhältnissen im heutigen Ungarn nicht abfinden wollen. Aurora ist die Göttin der Morgenröte. Nach der Nacht kommt der Tag, nach dem Dunkel das Licht. Aber vielleicht ist das Haus ganz einfach nach der Straße benannt, an dem es steht, der Aurora utca.
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Gestrandet zwischen Bunkern und Ruinen |
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Thomas Schmid, WOZ, 23.03.2017
In Wünsdorf, eine Autostunde südlich von Berlin,
befand sich einst das Oberkommando des Heeres von Hitlers Wehrmacht. Abgelöst
wurde es vom Oberkommando der sowjetischen Truppen in der DDR, die hier mit
50.000 Soldaten die grösste Garnison im Ausland unterhielten. Nun werden in ehemaligen
Kasernen Flüchtlinge einquartiert.
Auf dem alten
Perron wuchert Unkraut, die Gleise sind herausgerissen, das heruntergekommene
Bahnhofsgebäude verriegelt. Jahrzehntelang war hier Endstation der Direktlinie
Moskau-Wünsdorf. Jeden Tag fuhr abends um 20 Uhr ein Zug aus dem Dörfchen ab,
das in der Mark Brandenburg 50 Kilometer südlich von Berlin liegt. Zwei Tage
später kam er in der russischen Hauptstadt an. Der letzte Zug fuhr im Herbst
1994. Dann waren die Russen alle abgezogen.
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Willkommen auf Lesbos |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 04-11-2015
Vor Lesbos spielen sich
dramatische Szenen ab. Täglich stranden hier tausende Mittelmeerflüchtlinge,
mehr als an jedem andern Ort Europas. Sie werden von kleinen ausländischen
Hilfsorganisationen empfangen und mit dem Nötigsten versorgt, oft auch aus
stürmischer See gerettet.
SKALA SKAMNIAS (LESBOS). Die alte Frau steht da wie
festgewurzelt, neben einer Feuerstelle mit Resten von verkohltem Holz. Sie hält
einen langen Ast in die Höhe, an dessen Ende eine Schwimmweste in grellem
Orange flattert. Es ist stürmisch. Das Meer tobt. Die Gischt klatscht an die
Felsen. Und die Frau steht einfach da und hält ihre leuchtende Fahne in den
Wind. Ihr Haus liegt direkt an der unbefestigten Küstenstraße, etwas außerhalb
des Dorfes. Vor dem kleinen Stall meckert eine Ziege. Unter den Olivenbäumen
scharren Hühner. Nachts macht die Bäuerin vor ihrem Haus ein Feuer an. Sie
signalisiert den Flüchtlingen, wo das Wasser flach ist, wo sie anlanden können.
Ihren Namen mag sie nicht nennen. „Ich bin nicht wichtig“, sagt sie.
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Der Zaun |
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THOMAS SCHMID, Berliner Zeitung, 31.08.2015
Ungarn sperrt die
Grenze zu Serbien mit Stacheldraht ab. So will man Flüchtlinge
aufhalten. In Wahrheit aber soll vor allem das eigene Volk beruhigt
werden
SZEGED. Der Schienenstrang verläuft schnurgerade durch die ebene
Landschaft. Ganz hinten am Horizont, da wo sich die beiden Schienen zu
berühren scheinen, sind kleine dunkle Punkte wahrnehmbar. Sie bewegen
sich, kommen näher, werden größer und größer. Es sind Menschen, die auf
dem Bahndamm daherkommen. Gruppen von Menschen. Jetzt sieht man
deutlich, dass sie Beutel, Rucksäcke oder kleine Kinder tragen.
Sie schweigen, fragen nichts, lächeln verlegen zurück. Nur einer sagt
"Salam alaikum". Er heißt Khaled, war in Damaskus
medizinisch-technischer Assistent und hat ein dickes, von Narben
übersätes Bein. Eine "barrel bomb" habe ihn erwischt, erklärt er in
brüchigem Englisch, eine dieser mit Nägeln und Metallteilen gefüllten
Fassbomben, die das syrische Regime aus Hubschraubern auf die
Zivilbevölkerung abwerfen lässt. Jetzt geht er am Stock, wie seine alte
Mutter auch. Er verabschiedet sich, dann humpeln beide weiter über die
Eisenbahnschwellen, um den Anschluss an die Gruppe nicht zu verpassen.
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Die Angst vor dem Crash |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 20.02.2015
In Griechenland wird hoch
gepokert. Steht das Land vor dem Grexit oder stolpert es in die nächste Runde?
Immer mehr Bürger plündern ihre Konten.
ATHEN. Der alte Mann hat eine Botschaft. In kariertem
Barchenthemd und mit schwarzer Baskenmütze hat er sich vor dem ehemaligen
Königspalast aufgestellt, in dem heute das griechische Parlament tagt. Reglos
wie eine Statue steht er da, spricht mit niemandem, schaut niemanden an. Auch
unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen zuckt er mit keiner Wimper. In der
rechten hochgereckten Hand hält er offene Handschellen, in der linken ein
Plakat: „Diebe ins Gefängnis“. Mit den Dieben meint er ganz offensichtlich die
korrupte Politikerkaste, die mit ihrer Vetternwirtschaft das Land in den Ruin
getrieben hat.
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