YOANI SÁNCHEZ - Einflussreich wie Putin und Bush Drucken

Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 05.05.2008

Yoani Sánchez ist in kurzer Zeit zu Weltruhm gelangt. Die Zeitung Wall Street Journal porträtierte sie groß auf der ersten Seite, und auch diese Zeitung brachte im vergangenen Monat eine lange Reportage über sie. Das amerikanische Time Magazine hat Kubas bekannteste Bloggerin nun am Freitag - neben dem Dalai Lama, Wladimir Putin, George W. Bush, Rupert Murdoch, George Clooney, Bruce Springsteen und anderen mehr - auf die Liste der hundert einflussreichsten Personen der Welt gesetzt.



Die 32-jährige kubanische Literaturwissenschaftlerin Sanchez war verblüfft, sich in Gesellschaft so illustrer Personen zu finden. "Ich bin eine ganz gewöhnliche Frau, die über das ganz gewöhnliche Leben spricht", sagt sie, "deshalb ist mein Blog wohl so erfolgreich. Es mag erstaunen, dass mein Name und nicht jener Fidel Castros auf der Liste steht, aber seine Zeit ist vorbei."

Vier Millionen mal wird Sanchez' Blog monatlich aufgerufen. Vor allem von Kubanern im Exil. Auf der Insel selbst hat nur eine sehr dünne Schicht von Wissenschaftlern, Managern und Bürokraten das Recht auf Zugang zum Internet. Diese verkaufen zwar unter der Hand ihren Code - natürlich illegal und zu horrenden Preisen. Doch Sanchez will der Staatssicherheit keinen Vorwand liefern, ihren Computer zu beschlagnahmen und den Blog zu schließen. So speist sie ihre Beiträge in internationalen Touristenhotels ins Internet.

Sanchez war die erste Bloggerin Kubas, die offen unter ihrem Vor- und Nachnamen schrieb und auch ihr Foto ins Netz stellte. Ihr Blog ist für Kuba, dessen wenige Zeitungen mit dem Neuen Deutschland oder der Berliner Zeitung vor dem Mauerfall vergleichbar sind, sensationell. Sanchez übt offen Kritik. Sie erzählt von Mangelwirtschaft, von der Verlogenheit der Macht, vom Alltag im kubanischen Absurdistan. Und dies alles in einer oft poetischen Sprache. Was sie veröffentlicht, ist Literatur sui generis - und Aufklärung im besten Sinn des Wortes.

Dafür hat sie vor vier Wochen den renommierten Journalistenpreis "Ortega y Gasset" erhalten, den die Madrider El País, die wichtigste Zeitung im spanischsprachigen Raum, jährlich vergibt. Ob sie den Preis aber am Dienstag in Spanien entgegennehmen kann, weiß Sanchez noch nicht. Eigentlich wollte sie vorgestern, am Internationalen Tag der Pressefreiheit, in Havanna den Flieger besteigen. Doch ist ihr Ausreisevisum, das sie bereits vor zwei Wochen beantragt hat, noch nicht eingetroffen. Jetzt hat sie - ohne Pass und Visum - für morgen gebucht.

Was ihr formal möglicherweise angelastet wird, ist ihre Rückkehr nach Kuba. Vor sechs Jahren wanderte Sanchez in die Schweiz aus. Sie musste unterschreiben, in Kuba nie wieder wohnhaft zu werden. Während andere auf selbst gezimmerten Flößen in die haifischverseuchten Gewässer des Golfs von Mexiko stechen, um nach Florida zu gelangen, kehrte Sanchez vor vier Jahren freiwillig nach Kuba zurück und blieb. "Ich will nicht in einem andern Land leben", sagt sie heute, "sondern in einem andern Kuba."