SLIM AMAMOU - Staatsposten für die Stimme des Internets |
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 19.01.2011
TUNIS. Facebook und Twitter waren der Motor der tunesischen Jasmin-Revolution. So ist es nur gerecht, dass der bekannteste Blogger des Landes einen Job in der Regierung erhielt: Slim Amamou ist seit gestern Staatssekretär im Ministerium für Jugend und Sport. Der 33-Jährige war erst am vergangenen Donnerstag aus dem Gefängnis entlassen worden - an dem Tag, an dem der geflüchtete Ex-Präsident Zine el Abidine Ben Ali die Pressefreiheit verkündete und die gesperrten Internet-Seiten freigegeben wurden. Amamou war eine Woche zuvor wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit zur Hacker-Gruppe Anonymous festgenommen worden. Diese hatte die Websites sämtlicher Ministerien, der Nationalbank und der Börse lahmgelegt, um gegen die Pressezensur zu demonstrieren. Die tunesischen Medien hatten die Unruhen, die sich zur Jasmin-Revolution auswuchsen, wochenlang totgeschwiegen. Amamou
sagte in einem Fernsehinterview mit dem französischen Sender TF 1, ihm
sei das Amt erst eine halbe Stunde vor der öffentlichen Vorstellung der
neuen Regierung angetragen worden. Die Ernennung habe ihn völlig
überrascht. Er habe nie einer politischen Partei angehört und sei
politisch nie aktiv gewesen. Aber nun wolle er der "Stimme des
Internet-Volkes" Gehör verschaffen. Fortan mit Krawatte Immer
wieder heißt es, in Tunesien habe die erste Internet-Revolution der
Weltgeschichte stattgefunden. Amamou mag das Wort nicht. Zwar hätten
Facebook und Twitter eine wichtige Rolle gespielt. Aber entscheidend sei
doch gewesen, dass die Menschen dann tatsächlich auf die Straßen
geströmt seien, um zu demonstrieren. Bislang kennt die
Bloggerszene ihren Star als Mann mit Dreitagebart, Designer-Brille und
Pfeife im Mund. Sein Outfit wird sich künftig vermutlich sehr ändern.
Doch da hat Amamou keine falschen Hemmungen. Er sei bereit, eine
Krawatte zu tragen. Aber nie und nimmer würde er auf die totale Freiheit
verzichten, sagte der junge Staatssekretär, der bislang Chef einer
kleinen Beratungsfirma in der Internetbranche war. Auf Blogs wird
er bereits aufgefordert, den neuen Job nicht anzutreten. Viele sprechen
von einer verratenen oder konfiszierten Revolution, weil
Übergangspremier Mohamed Ghannouchi, der dem verhassten geschassten Ben
Ali zwölf Jahre als Ministerpräsident diente, sowie eine Reihe weiterer
Minister der alten Staatspartei RCD im Amt bleiben. "Ich bin für
den Dialog und bin mir meiner Überzeugungen gewiss", beschied Amamou die
enttäuschten Blogger selbstbewusst. "Wann ich demissioniere, entscheide
ich selbst." Im übrigen scheint ihn die Bürde des Amtes nicht
sonderlich zu plagen. "Ich werde erst mal den andern Ministern
beibringen, wie man twittert", twitterte er gestern vergnügt. Bereits
im Mai des vergangenen Jahres war Amamou schon einmal inhaftiert
worden, weil er eine "Bürgeraktion für ein freies Internet" mitgegründet
hatte. Damit sollten die Bürger gegen die Pressezensur mobilisiert
werden. Bei seinem Gefängnisaufenthalt damals war er vermutlich auch
gefoltert worden. Jedenfalls hatte er im Internet dann mit entstelltem
Gesicht dazu aufgefordert, von öffentlichen Demonstrationen abzusehen. Den
Begriff Jasmin-Revolution lehnt der neue Staatssekretär übrigens ab.
"Ich finde, da wird im Nachhinein diese Revolution in dieselbe Schublade
gesteckt wie die "farbigen Revolutionen, beispielsweise die
orangefarbene Revolution in der Ukraine", sagte er dem französischen
Fernsehsender TV 5. "Aber die tunesische Revolution war anders, sie war
weder geplant noch organisiert." |