Hilflos schaut die Welt dem Drama zu Drucken

Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 19.05.2008

Birmas Generäle blockieren die Hilfe. Doch diese militärisch durchzusetzen, scheint aussichtslos

Vor der Küste Birmas wartet ein französisches Kriegsschiff mit 1 500 Tonnen Lebensmitteln an Bord. Das reicht immerhin, um 100 000 Menschen 15 Tage lang zu ernähren. Doch ungerührt verweigern Birmas Generäle dem Schiff die Erlaubnis anzudocken. Selbst nach ihren Angaben hat die Katastrophe schon 78 000 Todesopfer gefordert. Die Uno spricht sogar von über 100 000 Toten. Wenn nichts geschieht, ist wegen des Mangels an sauberem Wasser mit Seuchen zu rechnen, die - so befürchtet die renommierte Hilfsorganisation Oxfam - über eine Million Menschen das Leben kosten könnte, Sekundärtote quasi als Folge unterlassener Hilfeleistung.

Das darf doch nicht sein, sagt der gesunde Menschenverstand, da muss die internationale Gemeinschaft doch etwas unternehmen. Doch so einfach ist es nicht. Die Uno darf nach Kapitel 7 der UN-Charta, streng genommen, nur in zwei Fällen gegen einen Mitgliedstaat Zwangsmaßnahmen ergreifen. Im Fall eines kriegerischen Angriffs (wie nach dem Überfall Iraks auf Kuweit 1990) oder wenn der Weltfrieden bedroht ist.

Erst nach dem Ende der Blockkonfrontation, mit dem Zerfall Jugoslawiens und Somalias wurde das Verhältnis zwischen den souveränen Rechten eines Staates und den Menschenrechten der Individuen neu austariert. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates wurde relativiert. Es entstand die rechtliche Figur der "humanitären Intervention", die im Völkerrecht jedoch bis heute nirgends verbindlich kodifiziert ist. Aber immerhin setzte sich die Auffassung durch, dass der Staat kein unbeschränktes Recht gegenüber den Menschen auf seinem Territorium hat, dass etwa ein Völkermord - auch wenn er innerhalb der Grenzen des eigenen Staates stattfindet und den Weltfrieden nicht bedroht - ein Grund für eine Intervention ist.

Dieses neue Verständnis von Völkerrecht erlaubte Interventionen in Somalia (1992) und Haiti (1994). Beide Male mandatierte die Uno eine von den USA angeführte Interventionstruppe. Was aber, wenn ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates sein Veto einlegt? Als in Ruanda 1995 die Regierung innerhalb von nur hundert Tagen rund 800 000 Bürger des eigenen Landes hinmetzeln ließ, intervenierte niemand. Hätten die Franzosen, die quasi vor Ort waren, nicht auch ohne UN-Mandat eingreifen sollen?

Im Kosovo intervenierte die Nato 1999 ohne jedes UN-Mandat - also völkerrechtswidrig. Dasselbe gilt für den Einmarsch der von den USA angeführten Streitmacht in den Irak 2003. Solch nichtlegitimierte Interventionen unterminieren das Völkerrecht und die Autorität der Vereinten Nationen.

Aber was tun, wenn das Leben Hunderttausender akut bedroht ist? Die Uno hat auf ihrem Gipfel 2005 zwar eine "Schutzverantwortung" der internationalen Gemeinschaft bei "Völkermord, ethnischer Säuberung, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" beschlossen - aber völkerrechtlich ist dies unverbindlich.

Im Fall Birma würden Russland und China im UN-Sicherheitsrat gegen jede militärische Intervention wohl ein Veto einlegen. Man könnte unter diesen Bedingungen - wie jüngst Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag - auf einen übergesetzlichen Notstand berufen. Theoretisch ist dies durchaus interessant, praktisch aber belanglos. Denn Birmas Generäle würden sich jeder Intervention widersetzen. Und im Feuergefecht könnte den Notleidenden schwerlich geholfen werden.

Zudem würde eine Intervention in Birma China wohl mehr provozieren als ein Gespräch mit dem Dalai Lama. Und schon mit dem Tibeter zu reden, schädigt ja potenziell die Geschäftsinteressen.


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