Die Angst vor dem Anderen Drucken
Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 02.06.2008

Die stärkste Partei der Schweiz spielte wie so oft auf der Klaviatur des Rassismus. Die rechtspopulistische SVP kleisterte das ganze Land mit einem ekligen Plakat zu: Es zeigt dunkelhäutige Hände von Arabern, Asiaten und Afrikanern, die nach dem roten Pass mit dem weißen Kreuz grapschen. Eine Konzession an den Biertisch und die dort gepflegten Instinkte. In Italien wurden vor zwei Wochen in einem regelrechten Pogrom Roma-Siedlungen gebrandschatzt. Zu einem landesweiten Aufschrei kam es nicht. Die Opfer waren schließlich bloß Zigeuner. 18 Monate Haft riskiert neuerdings, wer illegal nach Italien einreist oder sich "ohne Papiere" im Land aufhält. Frankreichs Präsident denkt nicht nur an sein eigenes Land, er will Immigranten den Weg nach ganz Europa verbauen. "Es ist klar, dass Europa nicht die Mittel hat, alle würdevoll zu empfangen, die in ihm ein Eldorado sehen", heißt es in einer Vorlage für eine EU-weite Initiative scheinheilig und verräterisch zugleich. Der Weg von der Angst vor dem Anderen zum Hass auf den Fremden ist kurz.


Man darf die Probleme, die mit der Einwanderung von Menschen aus fremden Kulturkreisen verbunden sind, nicht kleinreden oder gar negieren. Die Ängste der Einheimischen müssen ernst genommen werden. Wer aber - wie die Schweizer SVP - diese Ängste schürt, nimmt sie gerade nicht ernst. Wer - wie die Regierung in Rom - dem Volk vorgaukelt, eine Politik der starken Hand werde Italien wieder italienisch machen, täuscht es. Und wer - wie Frankreichs Präsident, der einst ausländische Jugendliche als "Abschaum" bezeichnete - so tut, als ob sich Europa abschotten ließe, ist nicht ehrlich.

Die Multikulturalität ist dem Spott, den dieser Begriff vielerorts auslöst, zum Trotz Realität. Und - horribile dictu - es werden noch mehr Menschen nach Europa einwandern. Wie das Spekulationskapital da hinfließt, wo die größten Profite locken, wie Unternehmen Produktionszweige dort hin outsourcen, wo sie am meisten Lohnkosten sparen, so zieht es die Habenichtse der Welt eben da hin, wo sie sich ein besseres Leben versprechen. Das ist die andere Seite der Globalisierung.

Da nützen Mauern, Patrouillenboote, Infrarotkameras und Bewegungsmelder letztlich wenig. Seit die Straße von Gibraltar, die das arme Afrika vom reichen Europa trennt, schärfer überwacht wird, gibt es mehr Tote, aber kaum weniger Flüchtlinge. Viele ertrinken nun in den Fluten zwischen Senegal und den Kanarischen Inseln, noch mehr aber erreichen Spanien. An der Küste Libyens warten zudem Zehntausende Afrikaner auf eine Überfahrt zur italienischen Insel Lampedusa.

Eine Kontingentregelung ist sicher sinnvoll, löst aber das Problem nicht. Spanien könnte, um die Tomaten und Paprikaschoten in den Gewächshäusern Andalusiens nicht verfaulen zu lassen, jährlich 40 000 Marokkaner für die Ernte ins Land holen. Viele aber würden nicht zurückkehren, und wer das Pech hätte, dem Kontingent nicht anzugehören, würde eben den gefährlichen Weg übers Meer suchen.

Im Übrigen brauchen die westeuropäischen Länder die Einwanderer. In der Schweiz sind Hotels und Krankenhäuser auf sie angewiesen. In Deutschland helfen Millionen Türken und Ex-Jugoslawen, die Rente zu sichern. Einige hunderttausend Albaner pflücken in Italien Oliven, hüten Kinder oder putzen Privatwohnungen.

Rumänische Banden, die Italiens Innenstädte verunsichern, und Afrikanerinnen, die sich in den Puffs von Zürich und Amsterdam prostituieren, leisten der Stigmatisierung der Ausländer Vorschub. Die Anpassungsleistung der übergroßen Mehrheit aber, die Familie, Freunde und das gewohnte Umfeld verlassen hat und sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden muss, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Als Nomaden der Moderne haben viele Emigranten in verschiedenen Ländern gelebt, sprechen mehrere Sprachen, haben sich in Dutzenden Jobs vielfältige Kenntnisse erworben und bringen die Mobilität auf, wie sie die Globalisierung erfordert. In der Geschichte haben Migranten viel zur Kultur beigetragen. Schweizer Steinmetze bauten in Italien Paläste und Kathedralen, französische Hugenotten belebten in Berlin Handwerk und Handel, deutsche Bauern trugen zur landwirtschaftlichen Entwicklung südamerikanischer Länder bei. Kulturen verändern sich da, wo sich Altes mit Neuem reibt, wo neue Erfahrungen in alte Welten einbrechen. Vermutlich ist der Beitrag, den Migranten zur Entwicklung von Zivilisation und Kultur leisten, erst mit zeitlichem Abstand angemessen zu würdigen.