Tschüss, Mister President Drucken

Thomas Schmid, BERLINER ZEITUNG, 11.06.2008



George W. Bush nimmt Abschied von Europa, und kaum einer weint ihm eine Träne nach. Würde man den Deutschen die Sonntagsfrage stellen: "Soll Bush Präsident bleiben?", läge die Zustimmungsquote wohl im einstelligen Bereich. Selten war ein amerikanischer Präsident hierzulande weniger beliebt. Selten auch hat einer die Arroganz der Macht überzeugender verkörpert als Bush. Unvergessen, wie er die Vereinten Nationen demütigte, wie er mit einer Koalition der Willigen in den Krieg gegen Irak zog, wie seine engsten Mitarbeiter Franzosen und Deutsche als Weicheier hinstellten. Werte, deretwegen die Vereinigten Staaten weltweit Ansehen genossen, hat Bush diskreditiert. Viele haben wegen der verlogenen Begründung des Kriegs, wegen der rechtswidrigen Inhaftierung mutmaßlicher Terroristen in Guantanamo oder wegen der Bilder von Abu Ghraib den Glauben an Amerika verloren.



Angela Merkel nicht. Als Oppositionsführerin kroch sie der US-Regierung zu Kreuze. Wenige Tage bevor sie 2003 nach Washington flog, um Vizepräsident Richard Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu treffen, kritisierte sie in einem Beitrag für das "Wall Street Journal" unter dem Titel "Schröder spricht nicht für alle Deutschen" die Haltung des sozialdemokratischen Kanzlers scharf. Dieser hatte sich gegen jede deutsche Beteiligung an einem Feldzug im Irak ausgesprochen.



Seine Entscheidung war wahltaktisch motiviert, aber sie war vernünftig. Merkel hingegen signalisierte damals der US-Regierung - wenige Wochen vor dem Einmarsch - ziemlich unverblümt, dass eine von ihr geführte Regierung eine militärische Intervention begrüßen würde. Doch muss man ihr zugute halten, dass sie als Kanzlerin schon im Januar 2006 kurz vor ihrem Abflug zum Vorstellungsgespräch im Weißen Haus die Schließung des Gefangenenlagers von Guantanamo forderte. Schröder hätte es nie gewagt, solcherlei zu verlangen - schon aus Angst, noch mehr in die antiamerikanische Ecke gestellt zu werden.



Vor allem der Irak-Krieg hat die USA vielen Deutschen entfremdet. Die kreuzzüglerische Rhetorik, die fundamentalistische Ideologie der neokonservativen Entourage des Präsidenten schreckten ab. Bushs offenes Bekenntnis zur Hegemonialpolitik, seine Absage an multilaterale Lösungen, die Weigerung der USA, sich in der Klimapolitik und in der Strafgerichtsbarkeit international einbinden zu lassen, beförderten eine antiamerikanische Stimmung, die hierzulande traditionell in einem rechten wie in einem linken Milieu verwurzelt ist. Die einen haben die Besatzung nach dem verlorenen Krieg als Schmach empfunden, die andern gegen die imperialistischen Interventionen in Vietnam protestiert. Bushs Diktum "Entweder seid ihr mit uns oder ihr seid gegen uns" verpasste jeder Kritik das Etikett des Antiamerikanismus. Argumente wurden als Ressentiments denunziert.



Politisch hat sich das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland mit Merkels Regierungsantritt entspannt. Bush hat seine Rhetorik längst gemäßigt. Er ist in Afghanistan wie im Irak auf die Hilfe der Europäer angewiesen. Doch das Vertrauen der meisten Deutschen, die nach dem Anschlag vom 11. September 2001 Verständnis für den Kampf gegen den Terrorismus aufbrachten, hat Bush verspielt.



Dissonanzen zwischen den USA und Deutschland wird es auch in Zukunft geben - schon allein weil der Zweite Weltkrieg und die Zeit der militärischen Bedrohung durch die Sowjetunion immer weiter zurück liegen und sich die Alte Welt immer mehr integriert. Europa wird sich Schritt für Schritt sicherheitspolitisch von den USA, denen es die Befreiung von nationalsozialistischer Herrschaft zu verdanken hat, emanzipieren. Irgendwann wird ein deutscher Kanzler auf den Abzug der in Deutschland stationierten atomaren US-Waffen drängen. Ein Nachfolger wird die US-Basen schließen oder in Basen einer von Europa und Nordamerika wirklich gemeinsam geführten Nato überführen. Die Emanzipation Europas von den USA widerspricht dem Gedanken einer transatlantischen Wertegemeinschaft nicht, wohl aber der sicherheitspolitischen Bevormundung.



Der neue US-Präsident wird sich dieser Entwicklung stellen müssen. Der alte aber verabschiedet sich. In einem Interview mit einem slowenischen Journalisten sagte Bush am Montag: "Viele Menschen mögen Amerika. Sie mögen manchmal nicht unbedingt den Präsidenten, aber sie mögen Amerika." Recht hat er.