Angelpunkt Kuba Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung,20.04.2009


Nur Kuba ist dem Treffen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) am Gipfel in Trinidad und Tobago ferngeblieben. Alle anderen 34 Mitglieder des Staatenbündnisses, das von Alaska bis Feuerland reicht, hatten ihre Staats- und Regierungschefs entsandt. Die Kameras richteten sich vor allem auf Barack Obama, den schwarzen Präsidenten, die neue Hoffnung, die Ikone. Doch thematisch stand das abwesende Kuba im Mittelpunkt des Treffens in der Karibik. Die OAS hatte schon im Januar 1962 - auf Druck der USA - Kubas Mitgliedschaft sistiert und dies mit der Gefahr begründet, die vom Revolutionsregime ausging. Kuba hatte sich mit der Sowjetunion liiert, das im Mai 1962 begann, auf der Zuckerinsel atomar bestückbare Mittelstreckenraketen zu stationieren. Im Oktober stand die Welt am Rand eines Atomkrieges.


Das alles ist ein halbes Jahrhundert her. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, und vom verarmten Kuba geht gewiss keine Gefahr mehr für den amerikanischen Kontinent aus. S
o gibt es keinen Grund, die Insel weiter herauszuhalten. Die OAS hat im Übrigen weiß Gott schon grausamere Regimes toleriert als Castros Tropendiktatur, allen voran die Militärdiktaturen Argentiniens, Chiles, Brasiliens, von den Tyrannen im mittelamerikanischen Hinterhof ganz zu schweigen. Dass erst jetzt außer den USA fast sämtliche OAS-Staaten für eine Rückkehr Kubas ins Bündnis sind, hat vor allem einen Grund: Lateinamerika hat während der Bush-Ära zu neuem Selbstbewusstsein gefunden.

In den 80er-Jahren hatte sich die tiefsc
hwarze Landkarte des Subkontinents aufgehellt. Doch die neu entstandenen Demokratien sahen sich schon bald in der Schuldenfalle und wurden vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erbarmungslos genötigt, den sogenannten "Konsens von Washington" umzusetzen: Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, Öffnung der Märkte, Reduzierung der öffentlichen Ausgaben. Mit dem Bankrott des Musterknaben Argentinien im Jahr 2001 hatte sich das neoliberale Modell gründlich diskreditiert. Und nun setzte sich fast in ganz Lateinamerika die Linke durch - entweder in ihrer sozialdemokratischen Variante wie in Brasilien und Chile oder in ihrer linkspopulistischen wie in Venezuela und Bolivien.

Ein Nebenprodukt dieser Entwicklung ist das Ende der Isolation Kubas. Inzwischen pflegen wieder alle Länder Lateinamerikas diplomatische Kontakte mit dem Castro-Regime, das Obamas Vorgänger auf der "Achse des Bösen" angesiedelt hatte. Wenn
die USA im Subkontinent, der ihnen unter George W. Bush entglitten ist, politisch wieder Fuß fassen wollen, müssen sie auch ihr Verhältnis zu Kuba neu definieren. In diesen Rahmen ordnen sich die jüngsten Beschlüsse der US-Administration ein. Obama hat den Exilkubanern unbeschränkte Reisen nach Kuba erlaubt. Sie dürfen auch Geld in beliebiger Menge auf die Insel schicken und Satellitenschüsseln ausführen.

Das wird Kuba zwar zusätzliche Devisen bringen. Aber mehr Kommunikation, mehr Meinungsaust
ausch wird das Regime, das die Exilkubaner noch immer als "Würmer" bezeichnet und das den Besitz von Satellitenschüsseln noch immer unter Strafe stellt, in neue Schwierigkeiten bringen. Und à propos Blockade: Auf Druck ihrer eigenen Farmer liefern die USA seit Jahren landwirtschaftliche Güter an Kuba - im vergangenen Jahr im Wert von 750 Millionen Dollar. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis die USA das Embargo weiter lockern oder gar - wie von allen lateinamerikanischen Staaten gefordert - ganz aufheben. Dann spätestens wird sich Kuba entscheiden müssen, ob es sich politisch öffnet oder noch mehr abschottet. Dann auch dürfte es den von der Linken regierten Staaten Lateinamerikas schwer fallen, über die Diktatur in der Karibik weiter zu schweigen.

In Trinidad und Tobago hat Obama Lateinamerika eine neue Zusammenarbeit versprochen. Die Konflikte aber, die beim Gipfel nicht zur Sprache kamen, werden sich schon bald zurückmelden. Es geht um handfeste Interessen. Am 30. April will ein Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) den USA eine Strafe aufbrummen, weil sie mit der Subvention ihrer Baumwollfarmer die brasilianische Konkurrenz um Milliardenprofite prellen. Bush hat frühere Schiedssprüche schlicht ignoriert. Wie wird es Obama halten?


"Amerika den Amerikanern!" hatte US-Präsident James Monroe im Jahr 1823 verkündet. Er hatte die Heilige Allianz des konservativen Europas vor einer Einmischung in die lateinamerikanischen Unabhängigkeitskriege zugunsten Spaniens gewarnt. Im Klartext besagte die Monroe-Doktrin: Lateinamerika den USA! Deutlich hört man nun ein Raunen aus dem Süden: Lateinamerika den Lateinamerikanern! Und weshalb nicht auch Guantanamo? 1903 nötigten die USA Kuba einen Vertrag ab, der ihnen im hintersten Zipfel der Insel ein Territorium als Pacht überlässt - "solange sie dieses brauchen". Spätestens, wenn die letzten Häftlinge entlassen sind, brauchen sie es nicht mehr.


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