Emanzipation vom Terror Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 06.05.2009

Es ist eine historische Zäsur. Zum ersten Mal wird das spanische Baskenland nicht von einem Nationalisten regiert. Seit die Region vor bald 30 Jahren ein Autonomiestatut erhielt, stellte immer die konservative nationalistische PNV die Regierung. Nun haben sich die sozialistische PSOE, Regierungspartei in Madrid, und die konservative PP, stärkste Oppositionspartei Spaniens, im baskischen Parlament zusammengerauft und den Sozialisten Patxi López zum Lehendakari, zum Regierungschef, gewählt. Er erhielt alle Stimmen von PSOE, PP und sogar die Unterstützung eines Abgeordneten einer Splitterpartei. Hätte die spanische Justiz nicht alle Parteien, die die terroristische ETA unterstützen, verboten, wäre es womöglich nicht zu dieser knappen Mehrheit gekommen.


Das Land ist in zwei Lager gespalten, und daran ist allen voran die PNV schuld. Sie hat in ihrer nationalistischen Verblendung nie anerkannt, dass das vorrangige Problem im Baskenland nicht die nationale Frage, nicht die Frage der Sezession ist, sondern die Frage der Sicherheit. Das Hauptproblem ist die terroristische ETA. Zwar hat sich die PNV immer wieder von der Gewalt distanziert, doch hat sie das Ziel der ETA, die im übrigen 1959 aus ihrem Schoß entsprungen ist, geteilt: ein unabhängiges Baskenland. Und im Zielkonflikt war ihr dann die nationale Frage doch wichtiger als die gesellschaftliche Isolierung der Terroristen.

In den 16 Jahren, während derer die ETA mit Heldenmut gegen die Diktatur Francos kämpfte, tötete sie 16 Menschen - in den folgenden 33 Jahren spanischer Demokratie ermordete sie knapp 850 Menschen, 25 pro Jahr. Das sagt eigentlich alles. Waren die Toten unter Franco fast durchweg Soldaten und Polizisten, so waren es in der Demokratie immer häufiger Politiker, Intellektuelle, oft einfach Personen, die sich öffentlich gegen die ETA ausgesprochen hatten. Heute leben rund 1 300 Menschen im Baskenland mit Leibwächtern. Unternehmer zahlen Schutzgelder - oder "Revolutionssteuern", wie es ETA-Kreise beschönigen. Buchhandlungen, die ETA-kritische Literatur anbieten, laufen Gefahr, gebrandschatzt zu werden. Die ETA und ihr Vorfeld, vor allem mit ihr sympathisierende Jugendzirkel, schüchtern ihre Gegner systematisch ein.

Ein Klima, in dem die wirklichen und vermeintlichen Probleme des Baskenlandes - der Terror und die Unabhängigkeit - offen diskutiert werden können, entsteht erst langsam, vor allem dank einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, die ihren Protest gegen die ETA nach jedem Attentat auf die Straße trägt und sich den öffentlichen Raum allmählich zurückerobert. Die PNV hat zu dieser Emanzipation vom Terror nichts beigetragen, im Gegenteil. Trotz, nicht wegen der Politik der PNV ist die ETA heute gesellschaftlich isolierter denn je. Die Verhaftung ihrer führenden Köpfe folgt in immer kürzeren Abständen.

Jetzt kommt es darauf an, die Debatte über Angst, Terror, ETA und ein ziviles Zusammenleben offensiv in die Öffentlichkeit, vor allem auch in die Schulen, zu tragen, und die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen, die aus Tradition baskisch, also nationalistisch gewählt haben. Wenn die konservative PP der Versuchung widersteht, ihren sozialistischen Regierungspartner im Baskenland, der im fernen Madrid zugleich ihr Gegner ist, aus parteitaktischem Kalkül auszubremsen, hat das Baskenland wohl die erste wirkliche Chance auf Frieden seit dem Ende der Franco-Diktatur.


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