Afghanische Sackgassen Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 18.08.2009

Ein Selbstmordattentäter dringt in Kabul an drei Checkpoints vorbei in die Hochsicherheitszone ein, sprengt sich vor dem Hauptquartier der internationalen Truppen in die Luft und reißt sieben Zivilisten mit in den Tod. Geschehen am vergangenen Sonnabend. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist katastrophaler denn je seit Ende der Taliban-Herrschaft. Das Regime der Steinzeit-Islamisten, die einst die Mädchen von den Schulen verbannten, die Frauen unter die Burka zwangen und Ehebrecher steinigten, wurde von den USA vor acht Jahren militärisch gestürzt. Heute kontrollieren die Taliban wieder weite Landstriche. Unter diesen Bedingungen werden nun am Donnerstag Präsidentschaftswahlen stattfinden.



Von freien und fairen Wahlen kann keine Rede sein. Aber man hat im Westen die Ansprüche längst heruntergeschraubt und ist froh, wenn die Wahlen überhaupt einigermaßen friedlich über die Bühne gehen. Man darf an Afghanistan keine westlichen Maßstäbe anlegen. Es geht nicht um Zustimmung zu einem politischen Programm, sondern um den Ausdruck einer Loyalität, und die konstituiert sich in der Regel entlang ethnischer oder tribaler Linien. Präsident Hamid Karsai, der sich zur Wiederwahl stellt und die besten Chancen hat, ist, wie fast alle Präsidenten vor ihm, ein Paschtune. Um seine Herrschaftsbasis auszuweiten, setzte er jüngst den übelsten usbekischen Warlord wieder ins Amt des Stabschefs der Streitkräfte ein, aus dem er ihn im vergangenen Jahr erst gefeuert hatte. Einem wichtigen tadschikischen Stammesführer versprach er bereits das Amt des Ersten Vizepräsidenten, und die reaktionärsten Kreise der schiitischen Hazara umgarnte er mit einem Gesetz, das nur für die schiitische Minderheit gilt. Es nötigt die Frau, "den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit entgegenzukommen", und es verbietet ihr, das Haus ohne seine Erlaubnis zu verlassen.

In westlichen Regierungskreisen ist man von Karsai enttäuscht. So hatte man 2001 nicht gewettet, als man ihn ins Präsidentenamt hievte. Nur: Haben sich nicht auch die Amerikaner, als sie die Taliban von der Macht vertrieben, zum Teil mit denselben Warlords verbündet, die nun Karsai auf seine Seite zu ziehen versucht? Zudem muss sich Karsai vom Image, eine Marionette des Westens zu sein, emanzipieren, wenn er die Wahlen gewinnen will. Es ist paradox: Je mehr die internationalen Truppen als Besatzer wahrgenommen werden, desto mehr muss Karsai auf Distanz zu jenen achten, die sein Regime finanzieren, seine Polizei und seine Soldaten ausbilden und das Land aufbauen wollen. Gewiss: Karsai ist ein Versager. Politische Erfolge hat er kaum vorzuweisen, aufgeblüht unter seiner Herrschaft ist vor allem die Korruption. Aber all das ist seit Jahren evident.

Den Krieg können Wahlen nicht stoppen. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, den Afghanen ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem sie für sich und ihre Kinder eine Zukunft sehen. Das setzt die militärische Kontrolle des Terrains voraus. Unter der Regierung Bush des Jüngeren hatten die US-Truppen die Taliban vor allem aus der Luft angegriffen und zivile Opfer der Bombardements als bedauerliche Kollateralschäden verbucht. Barack Obama rückt nun von dieser Strategie ab, die die Amerikaner von der Rolle der Befreier in die Rolle der Besatzer gebombt hat, und will die zivile Hilfe für die Bevölkerung verstärken. Die Deutschen gehen ein Stück weit den umgekehrten Weg. Denn inzwischen ist der Krieg auch in ihrem Lager in Kundus angekommen, und die Soldaten der Bundeswehr gehen zwangsläufig immer häufiger von der Defensive in die Offensive über. Vielleicht ist die alte Arbeitsteilung bald obsolet, wonach die Deutschen im Norden gewissermaßen als uniformierte Entwicklungshelfer im Einsatz sind, während die Briten im Süden, wo der Opiumanbau den Krieg alimentiert, die Köpfe hinhalten.

Noch ist nicht entschieden, ob das militärische und das - an den gewaltigen Aufgaben gemessen - doch sehr bescheidene zivile Engagement des Westens ausreicht, um eine erneute Machtübernahme der Taliban zu verhindern. Darüber wäre eine öffentliche Diskussion nötig, die Krieg Krieg nennt und auch eine Exit-Strategie ins Auge fasst. Die Bundesregierung scheut diese Debatte und nährt damit die Kritik am militärischen Einsatz. Ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt aber würde den Krieg auf jeden Fall verschärfen und den Taliban vermutlich zum Sieg verhelfen. Für die Region könnte sich dann eine dramatische Entwicklung anbahnen. Die Taliban und ihnen nahestehende Milizen kontrollieren schon heute die pakistanischen Gebiete an der Grenze zu Afghanistan. In der Armee, vor allem aber im Geheimdienst Pakistans gibt es starke islamistische Tendenzen. Pakistan ist alles andere als ein gefestigter demokratischer Staat und liegt im Dauerstreit mit Indien. Und wie dieses hat es die Atombombe. So gesehen ist das Problem Afghanistan nur Teil des viel größeren Problems Pakistan.


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