Sieg der Angst Drucken


Thomas Schmid, Berliner Zeitung 30.11.2009

Damit hatte kaum jemand gerechnet. Die Schweizer haben sich in ihrer Mehrheit dafür ausgesprochen, den Bau von Minaretten zu verbieten - und dies, obwohl die Regierung, alle großen Parteien außer der rechtspopulistischen SVP, die beiden Landeskirchen, die jüdische Gemeinde, die Gewerkschaften und die Unternehmer sich einmütig gegen ein Verbot ausgesprochen hatten. Es ist eine herbe Niederlage für die Regierung, und das Parlament scheint nicht mehr jene zu vertreten, die es gewählt haben.



Doch um Religion ging es nur vordergründig. Nichts zeigt dies deutlicher als ein Satz auf der Website der Volksinitiative "Für ein Verbot von Minaretten". Wörtlich heißt es dort: "Wer Minarette baut, will hier bleiben." Genau so ist es. Und man darf den Initiatoren im Umkehrschluss getrost unterstellen: Sie wollen, dass die Muslime gehen. Und wenn man sie schon nicht abschieben kann, dann sollen sie wenigstens Bürger zweiter Klasse sein - mit weniger Rechten als Christen. Ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Diskriminierungsverbot.

Aber es geht nicht um Muslime, sondern um Ausländer generell. Sprüche wie "Keine Steuergelder für Koranschulen!" oder "Das Minarett ist die Speerspitze der Scharia" kaschieren dies bloß. Islam und Terror scheinen seit dem 11. September 2001 wesensverwandt. Deshalb eignet sich der Muslim als Sündenbock. In der Schweiz macht der Anteil der Immigranten an der Gesamtbevölkerung inzwischen 21 Prozent aus. Die Ängste vor "Überfremdung" sind da, man muss sie ernst nehmen. Just das aber tun Rechtspopulisten nicht. Wer landesweit Plakate klebt, auf denen neben einer tief verschleierten Frau Minarette als Raketen dargestellt werden, schürt die Ängste, spielt mit ihnen, instrumentalisiert sie für andere Zwecke und behindert eine sachliche Diskussion objektiv vorhandener Probleme. Wer insinuiert, dem Unternehmerverband gehe es nur um die Absatzmärkte in der islamischen Welt, und gleichzeitig weiß, dass die Schweiz die Ausländer braucht, um die Wirtschaft am Laufen zu halten und die Renten zu sichern, betreibt billigen Populismus.

Das wirkliche Problem, vor dem die Schweiz ebenso wie Deutschland steht, ist die Integration von Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund. Es geht nicht darum, dass diese sich gefälligst anzupassen haben. Es geht nicht um Assimilation, sondern um Integration, um das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft bei gegenseitiger Respektierung der kulturellen und religiösen Identität. Wer dem Druck der Anpassung ausgesetzt wird, aber kein Angebot der tatsächlichen Integration erkennen kann, wird sich umso radikaler auf sein eigenes Milieu zurückziehen. Wer Minarette verbietet, grenzt aus und stärkt jene, die die Integration ohnehin ablehnen: die Fundamentalisten.

Und man darf sich nichts vormachen: Integration ist keine Einbahnstraße. Auch die Einheimischen müssen sich auf neue Realitäten einlassen, sich bewegen - gewiss nicht so weit wie die Immigranten, die Familie, Freunde, Heimat aufgegeben haben. All dies sollte hierzulande wie in der Alpenrepublik landesweit debattiert werden, nicht aber der Bau von Minaretten, von denen es in der Schweiz im Übrigen nur vier gibt.

Doch es werden vermutlich bald mehr sein - trotz des Abstimmungserfolgs der Rechtspopulisten. Selbst die Schweizer Justizministerin, die bis vor einem Jahr selbst der SVP angehörte, geht davon aus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg befinden wird, dass das Verbot des Baus von Minaretten "gegen das Völkerrecht verstößt und damit nicht angewendet werden kann". Der Regierung bliebe dann nur übrig, den vom Volk mehrheitlich gewünschten Verfassungszusatz für nicht umsetzbar zu erklären. Es wäre nicht das erste Mal. Vor fünf Jahren nahmen die Schweizer die "Initiative für die lebenslange Verwahrung von bestimmten Straftätern" an. Umsetzen ließ sie sich aus rechtlichen Gründen nicht.

Dies verweist auf ein Grundsatzproblem. In der Schweiz lässt das politische System der direkten Demokratie Abstimmungen über Volksinitiativen zu, die der Verfassung oder dem Völkerrecht widersprechen. Ein Bundesverfassungsgericht gibt es nicht, das Parlament entscheidet über die Zulässigkeit von Initiativen - oft aufgrund opportunistischer Erwägungen. Es ist sehr unpopulär, Volksinitiativen zu verbieten. Und es ist erst einmal geschehen. Die ebenfalls von der SVP getragene Initiative "Für eine vernünftige Asylpolitik" wurde wegen Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht für ungültig erklärt.

Wird aber eine Initiative zugelassen, die sich als nicht umsetzbar erweist, und werden die Bürger zu einer Volksabstimmung gerufen, bei der es real nichts zu entscheiden gibt, verliert der Bürger das Vertrauen in die Institutionen. Dann aber droht auch die direkte Demokratie, die die Populisten so penetrant beschwören, Schaden zu nehmen.

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