Die siechen Griechen Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung 28.01.2010

Zu Recht sind viele Europäer sauer. Da haben die Griechen 2001 ihren Eintritt in die Eurozone mit kreativer Buchführung und geschönten Bilanzen erschlichen. Kaum war die frisch gewählte sozialdemokratische Regierung im Oktober im Amt, musste sie einräumen, dass das Haushaltsdefizit mehr als das Doppelte dessen beträgt, was die konservative Vorgängerin drei Monate zuvor nach Brüssel gemeldet hatte. Schon deren Angaben waren doppelt so hoch, wie vom Vertrag von Maastricht erlaubt. Nun stehen die siechen Griechen als Gauner da, und es geht die Angst um, dass der harte Euro zu einer weichen Währung schmilzt und Hellas halb Europa mit in den Abgrund zieht.

Es gibt in der Eurozone zwar eine kollektive Währung, aber für den leichtfertigen Umgang mit dieser besteht keine kollektive Haftung. Griechenland muss die selbst verschuldete Krise mit eigenen Kräften bewältigen. Einen neokeynesianischen Weg der Krisenüberwindung über staatliche Konjunkturmaßnahmen verbietet schon allein die gewaltige akkumulierte Auslandsschuld von 300 Milliarden Euro, deren Tilgung inzwischen ein Drittel der öffentlichen Ausgaben auffrisst. So bleiben nur zwei klassische Wege: die Einnahmen erhöhen, die Ausgaben senken. Eines allein reicht nicht; beides bietet sozialen Sprengstoff.

Um die Einnahmen zu erhöhen, brachte die Regierung jüngst eine Erhöhung der Tabak- und Alkoholsteuer ins Spiel und zog den Vorschlag nach dem Protest auch aus der eigenen Parlamentsfraktion kleinlaut zurück. Vermutlich wird bald die Mehrwertsteuer erhöht, die zurzeit 19 Prozent beträgt. Doch das Problem ist, dass in Griechenland schon jetzt 30 Prozent der Mehrwertsteuern hinterzogen werden, dreimal mehr als im Durchschnitt der Eurozone.

Wichtiger als Steuererhöhungen ist also die Durchsetzung von Steuerdisziplin. Mit der stehen die Griechen auf Kriegsfuß. Schuld daran ist vor allem eine politische Klasse, die in zwei Dynastien zerfällt: in die konservative der Karamanlis und in die sozialdemokratische der Papandreous - schon der Vater und der Großvater des heutigen Premiers waren Regierungschefs. Seit Jahrzehnten verstanden die beiden Dynastien, die das Land abwechselnd regieren, den Staat als Selbstbedienungsladen. Die Klientelwirtschaft hat zu einem extrem aufgeblähten öffentlichen Sektor geführt, weil jede Partei möglichst vielen ihrer Mitglieder Posten zuschanzte. Die Korruption hat endemische Ausmaße angenommen. Weshalb soll man einem solchen Staat denn Geld in den Rachen schieben?

Und die Ausgabenseite? Schon blockieren die Bauern in ganz Griechenland Straßen, weil die Regierung die Subventionen für Agrarprodukte kürzt. Der Beamtenbund macht mobil, weil die Regierung Gehaltskürzungen im öffentlichen Sektor in Aussicht stellt. Auch die Gewerkschaften im Privatsektor haben bereits Streiks angekündigt.

Und die allerheiligste Kuh getraut sich die Regierung offenbar nicht anzutasten. Die meisten Griechen haben das Recht, mit 60 Jahren in Rente zu gehen. Deren Höhe richtet sich nach dem Lohn der letzten drei bis fünf Berufsjahre. So beträgt sie im Durchschnitt 96 Prozent des letzten Einkommens, während sie in Deutschland - wo die Rentenbezüge auf Basis des ganzen Erwerbslebens berechnet werden - bei nur 43 Prozent liegt.

Griechenland hat drei Optionen. Die erste: Die Regierung ringt sich unter dem Druck der Krise zu einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit von Larifari, Bakschisch und Vetternwirtschaft durch. Die zweite: Sie unternimmt keine ernsthaften Schritte zur Sanierung des Haushalts, dann wird die Europäische Zentralbank harte Einschnitte erzwingen. Das wäre für die Regierung bequem, weil sie dann die Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen auf das Ausland abschieben könnte. Die dritte: Die Regierung unternimmt genug, um kurzfristig einen Kollaps zu verhindern, aber zu wenig, um mittelfristig aus der Krise herauszukommen. Dies wäre die schlechteste Variante.

Eine Option, die sich angesichts des erschlichenen Beitritts Griechenlands zur Eurozone aufdrängen mag, ist jedoch eine Schimäre: der Ausschluss der Griechen aus der Eurozone. Er würde nicht nur Griechenlands Probleme verschärfen, sondern brächte auch die Nettozahler der Eurozone in die Krise. Schließlich sitzen europäische Großbanken auf milliardenteuren griechischen Staatspapieren. Das in der Währung vereinigte Europa kann sich den Kollaps Griechenlands also nicht leisten. Insofern haftet es eben - nolens volens - doch für das von den Griechen verschuldete Desaster.

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