Machtorgan des Nordens Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 08.06.2011


Nun will Ban Ki Moon also für eine weitere Amtszeit kandidieren. Der Generalsekretär, der höchste Repräsentant der Vereinten Nationen, kommt aus Südkorea, einem relativ unbedeutenden Land also. So will es die Regel. Mit der Unabhängigkeit Algeriens 1962 war die Erde - von den portugiesischen Besitzungen in Afrika abgesehen - weitgehend entkolonialisiert. Seither gab es sechs UN-Generalsekretäre: zwei Asiaten, zwei Afrikaner, einen Lateinamerikaner und einen Europäer (aus dem weltpolitisch unbedeutenden Österreich).



Das Repräsentieren überlässt man also den Ohnmächtigen. Die Macht aber ist im Sicherheitsrat angesiedelt. In diesem haben die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich ein Vetorecht. Es sind die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, in dessen Folge die Uno entstand. Sie sollte nach der von Deutschland und Japan verschuldeten globalen Katastrophe fortan für den Weltfrieden sorgen. Als ihre Charta 1945 verabschiedet wurde, glaubte man noch, die Allianz der Sieger würde Bestand haben. Doch es kam der Kalte Krieg, der die Uno zum Mauerblümchendasein verdammte. Der Sicherheitsrat war selten beschlussfähig. Entweder kam ein Njet aus Moskau oder ein No aus Washington.


Erst mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der bipolaren Welt gewann die Uno wieder an Bedeutung. Sie wurde handlungsfähig und besann sich auf ihre vornehmste Aufgabe: die Friedenssicherung, notfalls mit Gewalt. Die UN-Charta erlaubt dem Sicherheitsrat, eine militärische Intervention zu autorisieren, wenn ein Staat einen andern angreift oder wenn der Weltfrieden bedroht ist. 1991 marschierte eine von den USA angeführte internationale Streitmacht in den Irak ein, um die Souveränität des von Saddam Hussein annektierten Kuwait wiederherzustellen. Weitere von der Uno gebilligte Interventionen folgten in Somalia und Haiti - wegen Bedrohung des Weltfriedens.


Im Kalten Krieg war der Staat noch als absoluter Herrscher über sein Territorium und seine Bürger akzeptiert. Es galt das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Nach dem Ende der bipolaren Weltordnung aber setzte sich ein neues Verhältnis von Völkerrecht und Menschenrecht durch. Was tun, wenn das Völkerrecht Menschen die Wahrnehmung international anerkannter Rechte - etwa den Schutz vor Folter, vor Vertreibung, vor Ermordung - verwehrt, weil ein vetoberechtigtes Mitglied des Sicherheitsrates, zum Beispiel eine Diktatur wie China, aus macht- oder innenpolitischen Gründen eine aus humanitären Gründen gebotene militärische Intervention verhindert? Was tun, wenn, wie in Ruanda 1994 geschehen, ein Regime 800000 Menschen ermordet? Genozid ist nach UN-Charta ja kein Interventionsgrund.


Im Jahr 2005 überbrückte die UN-Vollversammlung das Dilemma mit einer Resolution, die dem Staat eine Schutzverantwortung gegenüber seinen Bürgern abfordert. Kommt er dieser nicht nach, verwirkt er das Recht auf Nichteinmischung. In Libyen erlaubte der Sicherheitsrat zum ersten Mal eine Intervention mit Bezugnahme auf den verweigerten Schutz.


Während man die Resolution, die von Irak die Rückgabe Kuwaits verlangte, militärisch durchsetzte, bleibt die Resolution, mit der die Uno, schon 1967 Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten aufforderte, bis heute ohne Konsequenzen. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Jeder Intervention und jeder Nichtintervention liegen eben machtpolitische Erwägungen zugrunde. Es gibt geostrategische und mitunter auch schlicht wirtschaftliche Interessen.


Wie die Uno ihre Aufgabe, den Frieden zu sichern, wahrnimmt, wird nicht in New York, sondern in Washington, Moskau. Peking, Paris und London entschieden. Im Süden, der in der Regel den Generalsekretär stellen darf, wird die Weltorganisation weithin als Machtorgan des Nordens wahrgenommen. In ihrem Sicherheitsrat sitzen ständig noch immer ausschließlich die Mächte, die vor 66 Jahren den Krieg gewonnen haben. Das führt zu einem Legitimitätsdefizit, das nur eine Reform beheben oder wenigstens verringern kann.


Indien, Afrika und Lateinamerika gehören in den Sicherheitsrat. Ein deutscher Sitz tut nicht not. Die Europäer haben schon zwei Sitze, eher einen zu viel als einen zu wenig. Und das Vetorecht muss zugunsten einer qualifizierten Mehrheit abgeschafft werden. Solche Reformen würden die Uno stärken. Doch keines der fünf ständigen Mitglieder will auf sein Vetorecht verzichten. Deshalb bleibt alles beim Alten, und Ban Ki Moon darf eine zweite Amtszeit antreten. Bei den wichtigsten Entscheidungen der Uno hat der von allen Mitgliedsstaaten gewählte Generalsekretär letztlich ohnehin nichts zu melden.

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