Der neue Kalte Krieg Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 07.09.2013


Samantha Power, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, nahm kein Blatt vor den Mund. Ihre Regierung, sagte sie, werde sich in der Frage eines Militärschlags gegen Syrien nicht um die Zustimmung des Sicherheitsrates bemühen. Der Präsident des mächtigsten Staats der Erde wird sich notfalls über die UN-Charta hinwegsetzen.


Nun ist die UN-Charta, die zwischenstaatliche Gewaltanwendung ächtet, ein hohes Gut. Niemand möchte gerne in die Zeiten zurückfallen, in denen das Recht auf Krieg zu den Attributen eines souveränen Staates gehörte und eine Kriegserklärung moralisch nicht verwerflich, sondern eine Frage der politischen Opportunität war.

Kapitel VII der UN-Charta erlaubt den Einsatz militärischer Gewalt nur in zwei Fällen: wenn ein Staat einen anderen Staat angreift, oder wenn der Weltfrieden bedroht ist. Ob dies der Fall ist, darüber entscheidet der UN-Sicherheitsrat. Und weil in Zeiten des Kalten Krieges immer die eine oder die andere Seite ein Veto einlegte, intervenierten die Großmächte nach eigenem Gusto.

Erst mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der bipolaren Welt lösten sich die Blockaden im UN-Sicherheitsrat. Doch das Tauwetter war nur ein Intermezzo. Kosovo markierte die Wende. Die Nato marschierte 1999 ohne völkerrechtliche Legitimation in die serbische Provinz ein. Humanitäre Gründe haben gewiss eine Rolle gespielt.

Aber humanitäre Gründe für eine militärische Intervention kennt die UN-Charta nicht. Im Fall Ruanda, wo 1994 in hundert Tagen rund 800000 Menschen ermordet wurden, wäre eine Intervention völkerrechtlich nicht zulässig gewesen. Dieses Legitimitätsdefizit versuchte die UN-Vollversammlung 2005 mit dem Konstrukt der "Schutzverantwortung" zu beheben. Diese erlaubt bei schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht eine Intervention, bloß steht eine solche ohne das Plazet des Sicherheitsrats auf wackeliger Grundlage.

Die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Syrien ist ein schwerer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht, der Einsatz chemischer Waffen auch. Aber im Sicherheitsrat herrscht - dank Russland, dank China - eine Blockade. Wie in Zeiten des Kalten Kriegs. Doch hat sich das Völkerrecht - über normatives Gewohnheitsrecht - weiterentwickelt. Wenn der Sicherheitsrat aufgrund seiner Struktur dem nicht Rechnung zu tragen vermag, werden Interventionen ohne UN-Mandat zunehmen. Damit droht eine Erosion des Völkerrechts. Letztlich könnte diesem Prozess nur eine Reform der UN Einhalt gebieten. Der Sicherheitsrat ist ein Relikt des Zweiten Weltkriegs. Vetoberechtigt sind die Siegermächte von 1945.


Vonnöten aber ist ein Sicherheitsrat, in dem auch die arabischen Staaten, Afrika und Lateinamerika einen permanenten Sitz haben, und der ohne Vetorechte mit qualifizierter Mehrheit Entscheidungen trifft. Diesen Sicherheitsrat wird es nicht geben, weil keine Vetomacht auf ihr Recht verzichten will. Der Völkerbund ist einst im Getöse des Zweiten Weltkriegs untergegangen. Kein Dritter Weltkrieg wird das Ende der UN und der obsoleten Struktur ihres Sicherheitsrats einläuten. Aber dieser wird an Bedeutung verlieren. Leider.


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