Moralische Verkommenheit Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 10.02.2015


Das schiere Ausmaß jagt jedem anständigen Steuerzahler einen Schauer über den Rücken. Es geht um Zehntausende von Kunden, die zig Milliarden von wie auch immer erworbenen Dollars in der Schweiz versteckten. Sie vertrauten ihre Millionen der in Genf angesiedelten Schweizer Tochtergesellschaft der Hongkong and Shanghai Banking Corporation (HSBC), der zweitgrößten Bank der Welt, mit Hauptsitz in London, an. Es handelt sich um Schurken wie auch um Leute, die bislang niemand zu diesen zählte. Da gesellen sich zu einem spanischen Rauschgifthändler und dem Cousin des syrischen Diktators ein Putin nahestehender Oligarch, die Tochter eines chinesischen Ex-Premiers und der berühmteste Koch Frankreichs.

Beim Skandal, den 140 Journalisten aus 45 Ländern gemeinsam recherchierten, geht es nicht nur um Unsummen an Geld, um Milliarden, die armen und reichen Staaten an Steuereinkünften fehlen, es geht auch um Politik, Krieg und Terror. Es geht um Bankkunden, die mit Blutdiamanten und Waffen handeln, die Kriege finanzieren, in denen Kindersoldaten als Kanonenfutter dienen, und die international agierende Terrororganisationen wie Al-Kaida alimentieren. Es geht nicht nur um die Gier von Reichen, die sich auf Kosten der Armen schadlos halten. Es geht letztlich auch um Leben und Tod.

Da ist also viel Macht und moralische Verkommenheit im Spiel - und alles gedeckt von einer Bank in Genf. Nach eigenen Angaben verwaltet die HSBC Schweiz heute nur noch etwas mehr als halb so viel Vermögen wie vor sieben Jahren. Der größte Teil der abgewanderten Gelder fand in den Niederlassungen Singapur und Hongkong, bei den Schwestern der HSBC Schweiz, eine neue Heimat. Die große Wanderung setzte offenbar ein, als die Union Bank of Switzerland (UBS) vor dem Druck des US-Fiskus einzuknicken begann. Die größte Schweizer Bank bat den Staat damals schließlich, ihr zu erlauben, was das Gesetz verbot, nämlich die Kundendaten an die US-amerikanische Steuerbehörde zu verraten.

Es war ein Warnsignal. Das Bankgeheimnis, das jahrzehntelang zur Schweiz gehörte wie die Schokolade und das Matterhorn, war bald löchrig wie ein Emmentaler Käse. Und es scheint nun nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis auch die Eidgenossen den von der OECD geforderten automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen akzeptieren. Die Schweizer Banken orientieren sich schon lange um und sprechen explizit von einer Weißgeldstrategie, womit sie implizit zugeben, dass sie eben traditionell ein Hort von Schwarzgeldern waren.

Die neuen Enthüllungen mögen zum großen Teil von Altlasten handeln. Viele Kunden der HSBC Schweiz haben aber möglicherweise die Entwicklung in der helvetischen Finanzbranche verschlafen. Jedenfalls fühlte sich die Genfer Bank vor wenigen Wochen bemüßigt, in einem vertraulichen Schreiben Tausende Kunden davor zu warnen, dass unangenehme Informationen in der Öffentlichkeit auftauchen könnten. Hervé Falciani hatte mit seinem Datenklau bei der HSBC schon 2009 für Schlagzeilen gesorgt. Aber erst jetzt kamen nach akribischer Recherche die Namen illustrer Betrüger an die Öffentlichkeit.

2008 wurde bekannt, dass der Liechtensteiner Heinrich Kieber dem Bundesnachrichtendienst DVDs mit Kundendaten mutmaßlicher Steuerbetrüger verkauft hatte. Seither stellt sich die Frage, ob der Staat Diebesgut aufkaufen darf, ob er einem Datenräuber Millionen Euro bezahlen darf, um Milliarden Euro hinterzogener Steuern einzutreiben. Ist, was moralisch verwerflich erscheint, vielleicht gerade moralisch geboten? Vermutlich wollte auch Falciani aus seinem Diebesgut Kapital schlagen. Es ist ihm wohl missglückt. Da er die Daten trotzdem übergeben hat, steht Frankreich, das nun die Steuersünder gerichtlich belangen will, mit sauberen Händen da, während die Schweiz wieder um den Ruf als Bankplatz bangt.

In Frankreich, wo man scharf auf seine Beute war, genießt Falciani Polizeischutz, in der Schweiz, wo man sich mehr der Bank als der Öffentlichkeit verpflichtet fühlt, wird er mit Haftbefehl gesucht. Dass er ein Dieb ist, steht außer Frage. Doch was ist mit all den Beratern, die den Schurken geholfen haben, ihr Geld dem Fiskus zu entziehen, die, wenn vielleicht nicht im strafrechtlichen Sinn, so doch faktisch Beihilfe zu Betrug geleistet haben, und in vielen Fällen auch zu Krieg und Terror.

"Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?", fragt Mackie Messer in Brechts "Dreigroschenoper". Heute stellt sich die Frage: Was ist schon ein Datenraub bei einer Bank gegen die Schamlosigkeit einer Bank, mit Schurken zu paktieren und ganze Völker um Gelder in Milliardenhöhe zu prellen?


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