Die falsche Hautfarbe

TRIPOLIS. Im Süden von Tripolis, unweit der Residenz Gaddafis, die vergangene Woche von den Rebellen gestürmt wurde, gibt es einen großen runden Platz. Es ist der „Platz der Afrikaner“, wie die Libyer, selbst auch Afrikaner, sagen. Unter „Afrikaner“ versteht man hier „Schwarzafrikaner“ oder – politisch korrekt – „subsaharianische Afrikaner“. Der Platz ist übersät mit Plastikflaschen, Dosen, Windeln, Kartons, Kleidern, Matratzen. Ein zerrissenes Zelt steht wie eine Ruine in dieser Mülllandschaft. Bis vor kurzem waren es viele Zelte hier. „Etwa 1.500 Afrikaner campten auf dem Platz“, sagt Ahmed Abdallah, der von seinem Balkon aus das kleine Lager gut überblicken konnte, „die Männer kamen nur, um zu schlafen und um zu essen.“ Das Lager sei im April – zwei Monate nach Beginn des Aufstands in Libyen – quasi über Nacht entstanden. „Es waren alles Söldner Gaddafis, viele kamen mit ihren Familien.“

Leichen schwarzer Männer sind nach der Befreiung von Tripolis an verschiedenen Orten aufgefunden worden. Offenbar Söldner, gefallen im Kampf, einige vielleicht auch hingerichtet. Hier auf dem Platz waren einige von in Zelten untergebracht, wenn auch gewiss weniger als Ahmed angibt. So groß ist der Platz nun auch wieder nicht. Gaddafi hatte wohl vor allem in Niger, Mali und Tschad Söldner angeworben. Den Regierungen dieser völlig verarmten Staaten hatte er beträchtliche finanzielle Hilfe zukommen lassen. Vor allem seit Ende 90er Jahre, nachdem sich sein panarabisches Projekt eines Staatenbundes als Chimäre herausgestellt hatte. Kein arabischer Staat hatte sich der Führung Gaddafis unterwerfen wollen. So wandte sich der Libyer seinen südlichen Nachbarstaaten zu und entwickelte panafrikanische Pläne. Er selbst bezeichnete sich als „König der Könige Afrikas“.

Für viele Schwarzafrikaner hatte dies durchaus Vorteile. Hunderttausende durchquerten die Sahara, um an der Küste des reichsten Staats Afrikas Arbeit zu finden. Niemand verlangte nach Papieren. Die Ankömmlinge wurden geduldet, sie waren ja Afrikaner, und Gaddafi verstand sich als König von ihnen allen. Als im Februar der Krieg ausbrach, flohen viele der schwarzafrikanischen Migranten, wohl weit mehr als die Hälfte nach Tunesien und Ägypten, gezählt hat niemand. In Tripolis findet man kaum noch Schwarze –  außer in der Medina, in der ummauerten, historischen Altstadt. Wer durch die Gassen des ärmeren Teils des Viertels schlendert, da wo der Asphalt in gestampfte Erde übergeht, wähnt sich im tiefsten, schwarzen Afrika. Die kleinen Läden, die anders als in der übrigen Stadtteilen, schon wieder offen sind, werden alle von Schwarzen betrieben.

Der Schneider Ali Bouba will möglichst schnell in seine Heimat zurück, nach Niger.

Ali Bouba will zurück in seine Heimat, nach Niger. Seit einem Jahr ist er hier. Am Anfang fühlte er sich ganz wohl. „Seit aber Krieg herrscht“, sagt der Schneider, „gelten wir alle als Söldner Gaddafis.“ Es habe nach Beginn des Krieges hier in der Medina auch einige Tote gegeben. Doch persönlich kennt er keinen Fall. Namen kann oder will er nicht nennen. Von der neuen Regierung, die kommen wird, erwartet er nichts Gutes. Seine meisten Freunde sind längst abgehauen, nach Tunesien. Ali hat Angst. Fotografieren lassen will er sich nicht. Man weiß ja nie. „Heute morgen um drei Uhr haben sie einen abgeführt“, sagt er zum Abschied, „gehen Sie zu Gado im Laden da drüben, der weiß mehr.

Der Schneider Gado al-Haji kann nun die Ladenmiete nicht mehr bezahlen.

Schräg gegenüber von Alis Laden steht Gado al-Haji in seiner Werkstatt hinter einer Nähmaschine. Auch er ist Schneider. Vor sechs Monaten ist er gekommen, hat sich das dunkle, fensterlose Loch hier gemietet – für 200 Dinar, umgerechnet 120 Euro im Monat. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft brach der Krieg aus. Seither hat er die Medina nicht mehr verlassen. „Wir haben Angst“, sagt er, „sie vor uns und wir vor ihnen.“ Mit „sie“, meint er die andern, die Araber. „Heute morgen um drei Uhr“, bestätigt er, „haben bewaffnete Leute einen von uns abgeholt, Abou Abdoulaye, aus Niger.“ Gesehen habe er es selbst nicht, sagt Gado, aber sein Freund Ahmed sei dabei gewesen. Ahmed aber ist nicht aufzutreiben. Er versteckt sich, hat Angst.

Am Anfang lief Gados Geschäft ganz leidlich. Er konnte sogar ein bisschen Geld an seine Familie in Niger schicken. Doch jetzt ist alles zusammengebrochen. Seine Einkünfte reichen nicht einmal mehr, um die Ladenmiete zu bezahlen. „Und wie geht es nun weiter?“ – Gado macht mit der rechten Hand eine Wellenbewegung. Er sucht den gefährlichen Weg übers Mittelmeer.

William Dot aus dem Südsudan lebt schon 14 Jahre in Tripolis.

Als Fremder begegnet man hier in der Medina misstrauischen Blicken. Von Außenstehenden erwartet man nichts Gutes. „Nein, wir haben hier keine Probleme“, wehren viele Schwarze ab, bevor die Frage gestellt ist, und man merkt, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch William Dot, der Südsudanese, der seit 14 Jahren hier wohnt, meint, alles sei ok. Jedenfalls seien die Verhältnisse noch nicht so wie damals. Damals vor elf Jahren, kam es in ganz Libyen zu Pogromen gegen die schwarzen Einwanderer, bei denen vermutlich einige hundert getötet wurden. William will bleiben. Noch jedenfalls.

Am andern Ende der Medina, da wo die Gassen asphaltiert sind, steht Mohammed, der hier nur so heißt, weil er seinen Namen nicht nennen will. Er sammelt Kartons und leere Zigarettenschachteln auf – Brennstoff für die Küche. Für die Gasflasche, die bei sparsamem Einsatz etwa zwei Wochen reicht und früher drei Dinar kostete, bezahlt man zur Zeit hundert Dinar. „Die Schwarzen hier“, sagt er, „lieben Gaddafi mehr als uns Libyer.“ Im April habe Gaddafi ihnen Waffen gegeben. Und danach gab es Ärger in der Medina. Bis zum Ausbruch des Krieges war Mohammed Fischhändler, seither ist er „Douar“, Kämpfer, Rebell. Er malte, als das noch lebensgefährlich war, revolutionäre Graffiti an die Mauern und nähte rot-schwarz-grüne Fahnen.

Es sind die Fahnen, die heute am Id al-Fitr, dem großen Fest nach dem Fastenmonat Ramadan, auf hunderten von Kleinlastern und Lieferwagen wehen, die bestückt mit Raketenwerfern und andern Geschützen, durch die Straßen von Tripolis kurven. Es wird gefeiert. Aber in der Medina herrscht Angst. Im Gefängnis Ain Zara, am Rand von Triipolis, wo nach der Flucht von Gaddafis Truppen sämtliche Gefangenen freikamen, sitzen inzwischen 300 neue Gefangene, wie der Gefängnisdirektor am Dienstag gegenüber Amnesty international bestätigte. Etwa die Hälfte seien Schwarze. Die Menschenrechtsorganisation konnte 50 Häftlinge, unter ihnen elf schwarze Frauen, befragen.

Es gebe auch durchaus gute Schwarze, konzediert Mohammed, der ehemalige Fischhändler, auf Nachfrage und sagt es in einem Tonfall, der just den Generalverdacht, den man hier gegen die Schwarzen hegt, bestätigt. Quasi: keine Regel ohne Ausnahme. Militärisch haben die schnell rekrutierten, kaum ausgebildeten schwarzen Söldner gewiss keine entscheidende Rolle gespielt. Die Küstenstadt Misrata wurde von schwerer Artillerie beschossen, die diese Söldner gewiss nicht zu bedienen wussten. An den Fronten kämpften gut ausgebildete und mit modernsten Waffen ausgestattete Spezialeinheiten Gaddafis, kommandiert von seinen Söhnen – nicht Schwarze aus Niger, Tschad und Mali. Trotzdem: Geblieben ist der böse Verdacht gegen Schwarze, der auf einem tradierten Rassismus basiert. Schwarze gelten als gewalttätig, kulturlos, sexbesessen und aidskrank. Die Opfer dieser Vorurteile sammeln sich an den Grenzen zu Tunesien und Ägypten. Dort hängen seit Monaten Tausende Schwarzafrikaner fest, die niemand aufnehmen will.

Thomas Schmid, erschienen in gekürzter Fassung in der Berliner Zeitung 31../1.9.2011