Nein, nie würde Slobodan Miloevic die Todesstrafe für Zoran Djindjic fordern. Aber als der serbische Oppositionsführer Anfang Mai im Belgrader Staatsfernsehen als Verräter beschimpft wurde, wußte der, daß es höchste Zeit war, sich aus dem Staub zu machen. Er setzte sich nach Montenegro ab, wo er nun unter Polizeischutz lebt. Die Botschaft war unmißverständlich. Immerhin war wenige Wochen zuvor auch der Verleger Slavko Curuvija, der seine in Serbien verbotene Zeitung in Montenegro drucken ließ, um sie danach illegal in Belgrad zu vertreiben, von den Regierungsmedien als Verräter bezeichnet worden. Zwei Tage danach wurde er von einem Killerkommando erschossen.

Auch Nikola Barovic, der sich vor allem dadurch einen Namen gemacht hat, daß er bei einer Fernsehdiskussion Vojislav Seselj, dem Führer der Rechtsextremen und heutigen Vizepräsidenten Serbiens, ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete, wonach er von dessen Leibwächter zusammengeschlagen wurde, ist in der kleineren der beiden jugoslawischen Republiken ins Exil gegangen. Genauso wie Miroslav Nune Popovic, der Aktionskünstler, der einst ein geschlachtetes Schwein vor dem Amtssitz Miloevic‘ deponierte, das in kyrillischer Schrift die Aufschrift „Serbien“ trug. Zwischen den Zähnen hielt das tote Tier einen Brief, adressiert „An den Präsidenten“. Slobodan Miloevic las die Botschaft nie, aber beim Publikum kam die Message an: Der Präsident hat Serbien zugrundegerichtet. „Die Schweinezucht“, doziert Popovic, ein junger Mann mit schwarzem Bart, Pferdeschwanz und schelmisch lachenden Augen, „ist in Serbien von großer wirtschaftlicher Bedeutung, das Schwein hat dort eine geradezu metaphysische Bedeutung“.

Dem Künstler drohte eine Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren, weil er sich seiner Festnahme widersetzte. „Ich hatte eine Genehmigung für die Aktion“, sagt er, „und die verhafteten mich ohne Genehmigung.“ Popovic liebt die Freiheit, und so lebt er nun in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, wo er zusammen mit Gesinnungsgenossen eine Internet-Zeitung herausgibt (www.mediaclub.cg.yu). Ihre wichtigste Botschaft lautet: Schluß mit der ethnischen Säuberung! Schluß mit den Bomben! Die Redaktion des digitalen Mediums befindet sich im Informationsministerium der Republik.

Während sich in Serbien ein Klima der Angst und Einschüchterung breitmacht, herrscht in Montenegro eine offene Atmosphäre. Sie wird notfalls polizeilich verteidigt. Nachdem die jugoslawische Militärpolizei in Podgorica die unabhängige Tageszeitung Vijesti aufsuchte und eine „Anpassung der Artikel an die Kriegsbedingungen“ verlangte, wurde die Redaktion unter Polizeischutz gestellt. Die jugoslawische Regierung hat das Kriegsrecht verhängt, Montenegro weigert sich, es anzuwenden. Serbien vertreibt die Albaner, Montenegro nimmt sie auf. Für die neue Politik in der kleinen Republik steht ein früherer Weggenosse Miloevic‘, der zum gefährlichsten Widersacher des Potentaten in Belgrad avanciert ist: Milo Djukanovic, seit anderthalb Jahren Präsident von Montenegro.

Niemand weiß, wie viele Serben in den letzten Monaten nach Montenegro getürmt sind, vermutlich einige tausend. Zu den innerjugoslawischen Flüchtlingen zählen – neben den über 70.000 Albanern aus dem Kosovo – vor allem junge Serben, die Angst vor einer Einberufung zum Kriegsdienst haben. Immerhin hat Djukanovic sich gegen den Einsatz der jugoslawischen Armee im Kosovo ausgesprochen, und Vizepremier Novak Kilibarda hat sogar zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen und wird seither von der jugoslawischen Justiz per Haftbefehl gesucht. Er bewegt sich nur noch unter dem Schutz von Spezialeinheiten der montenegrinischen Polizei.

Rastko und Aleksandar genießen diesen Schutz nicht. Bis vor wenigen Wochen haben beide noch in Belgrad studiert, der eine Literatur-, der andere Theaterwissenschaft. Nun sitzen sie auf der Terrasse des „Crni Gora“, des Fünfsternehotels von Podgorica, und sinnen über ihre Zukunft nach.

Rastko trägt unter dem offenen Hemd ein schwarzes T-Shirt mit einer weißen Faust, darunter steht „otbor“, zu deutsch „Widerstand“. Unter diesem Namen hat sich in Belgrad eine Bewegung gegründet, die sich nach der Verabschiedung eines restriktiven Mediengesetzes und einer Universitätsreform, die die Hochschulen der direkten Kontrolle des Regimes unterstellte, dem Kampf gegen die totalitären Tendenzen verschrieb.

„Wir haben nun zwei Feinde“, stellt Rastko fest, „Miloevic, der stärker denn je ist, und die Nato.“ Und er hofft, daß die Nato nicht die UÇK in den Krieg schickt, um selbst keinen Bodenkrieg führen zu müssen. „Die Albaner dürfen nicht zum Kanonenfutter der Allianz werden“, warnt er.

Auch Aleksandar, der nervös eine Zigarette nach der anderen in sich reinzieht, machte sich schon früh Sorgen um die Albaner. Während Oppositionsführer wie Zoran Djindjic in Sachen Kosovo lange Zeit schwiegen und selbst im vergangenen Sommer, als 300.000 Albaner in die Flucht getrieben wurden, keinen Protest organisierten, suchte er den Kontakt zu albanischen Kommilitonen.

Im vergangenen Jahr reiste er nach Pritina, um ein serbisch-albanisches Meeting zu organisieren. Er hatte viele Freunde im Kosovo. Doch als die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den serbischen Streitkräften und der albanischen UÇK-Guerilla zunahmen, wurden es immer weniger. „Die hatten allen Serben gegenüber immer weniger Vertrauen“, berichtet der Student, „und viele mieden wohl auch den Kontakt zu uns, weil sie mit der UÇK keinen Ärger haben wollten.“

„Die Nato-Bomben haben allen Bemühungen ein Ende gesetzt“, sagt Aleksandar, und schließlich hätten Rastko und er sich nach Montenegro abgesetzt, denn „wir wollten nicht töten und nicht getötet werden“. Seit vier Wochen irren sie nun schon durch die kleine jugoslawische Republik. Sie waren in vielen montenegrinischen Städten, auch in Ulcinj bei albanischen Flüchtlingen. Immer auf der Hut vor der Armee, die an vielen Straßensperren die Dokumente der Durchreisenden kontrolliert.

Die beiden Flüchtlinge wissen nicht, ob ihnen in Belgrad ein Einberufungsbefehl schon zugesandt worden ist. Einen gültigen Ausweis hat keiner von beiden. Für 5.000 Mark würden sie sich einen deutschen Reisepaß besorgen können, behaupten sie. Doch das Geld dafür haben sie nicht. Und so warten sie im montenegrinischen Exil auf bessere Zeiten.

Thomas Schmid, TAZ, 17.05.1999