Der Kampf um den Panamakanal

Wie lange ist ewig? Eine philosophische Frage. Oder eine Frage der Politik.
In Panama jedenfalls dauert die Ewigkeit genau 96 Jahre. „Auf ewig“ bleibt die Kanalzone, die das Land in zwei Hälften teilt, im Besitz der Vereinigten Staaten von Amerika. So war es im Vertrag von 1903 geregelt. Und für Ronald Reagan gab es 1976 (damals noch auf dem langen Weg zur Präsidentschaft) keinen Zweifel: „Wir haben den Kanal gebaut, wir haben ihn bezahlt, wir werden ihn auch behalten.“

Doch 1977 zog Jimmy Carter ins Weiße Haus ein und schloss noch im selben Jahr mit Omar Torrijos, dem populären Machthaber von Panama, einen neuen Vertrag, der festschrieb, dass vom Jahr 2000 an Panama die volle Souveränität über die Kanalzone ausübt. Schon zwölf Stunden vor dem Jahrtausendwechsel wird in Panama nun gefeiert werden. Am Silvestertag, zur Mittagsstunde, wollen die USA das Sternenbanner einziehen und dem mittelamerikanischen Staat den Kanal zur alleinigen Verwaltung übergeben.
Dabei hat der Staat Panama seine Existenz kurioserweise just jenem 80 Kilometer langen Kanal zu verdanken, in dessen Besitz er erst jetzt kommen wird. Bis 1903 nämlich gehörte die Landenge zu Kolumbien, mit dem die USA im Januar des schicksalhaften Jahres bereits einen Vertrag zum Bau einer Wasserstraße ausgehandelt hatten. Doch bockte das Parlament des südamerikanischen Staates, als es um die Ratifizierung der Übereinkunft ging, vor allem schien ihm der Preis für die Überlassung der Konzession und einer zehn Kilometer breiten Zone zu mickrig: Vorgesehen war eine einmalige Zahlung von zehn Millionen Dollar und eine jährliche Pacht in Höhe von 250.000 Dollar.
„Ich glaube nicht, dass man es diesem Haufen Karnickel in Bogotá erlauben sollte, auf Dauer einen der großen künftigen Verkehrswege der Zivilisation zu versperren“, zürnte Theodore Roosevelt, der damalige US-Präsident, und ließ in der kolumbianischen Provinz kurzerhand eine Revolution anzetteln. Am 3. November übernahm in Panama eine kleine Gruppe von Verschwörern die Macht und verkündete die Unabhängigkeit der Provinz: Das souveräne Panama war geboren.
Eine Stunde nachdem der örtliche US-Konsul seiner Regierung den Sieg der „Bewegung“ mitgeteilt hatte, erkannte der US-Außenminister den neuen Staat an. Und nur wenige Tage später war zwischen der neuen Republik und ihrem Geburtshelfer ein Vertrag unterschrieben. Die pekuniären Konditionen des Handels blieben dieselben. Doch wurde den USA nun ein 16 Kilometer breiter Streifen zugestanden, und nicht nur für 100 Jahre, sondern „auf ewig“. Damit war der Weg frei: Der Kanal konnte gebaut werden. Es sollte die Vollendung einer langen, dramatischen Geschichte sein.
Als erster Europäer hatte 1513 der Spanier Vasco Núñez de Balboa die Landenge bei Panama durchquert. Schon zehn Jahre später ließ Kaiser Karl V. die Möglichkeiten eruieren, eine Wasserstraße durch Mittelamerika zu bauen, in der Region Panama oder anderswo. Sein Sohn, Spaniens König Philipp II., sandte zwar noch einen Ingenieur aus, um die Nicaragua-Route zu explorieren, kam dann aber 1567 zur Einsicht, dass es dem göttlichen Willen zuwiderlaufe, zwei Ozeane zu verbinden, die der Schöpfer der Welt getrennt habe, und drohte fortan all jenen die Todesstrafe an, die sich weiterhin mit Kanalprojekten herumschlügen. Und so schafften die Indianer (später aus Afrika deportierte Sklaven) auf Mauleseln die im spanischen Vizekönigreich Peru entdeckten Gold- und Silberschätze, die an der Pazifikküste Panamas angelandet wurden, über den camino real, den Königsweg – oder camino de cruces (Kreuzweg), wie er im Volksmund hieß -, an die Atlantikküste, wo das kostbare Gut dann wieder verschifft wurde.
Im 19. Jahrhundert erwachte das Interesse an einem Kanal von neuem. Der Naturforscher, Geograf und Lateinamerika-Bummler Alexander von Humboldt empfahl, die Wasserstraße quer durch Nicaragua zu bauen, ein Land, das er allerdings nie bereist hat. Auf seinen Rat hin ließ Simón Bolívar, der lateinamerikanische Befreiungsheld, aber auch die Panamaroute vermessen. Goethe träumte 1827 von drei großen Kanälen, einen vom Rhein in die Donau, einen bei Suez in Ägypten und einen dritten in Mittelamerika. Und schon ihm war klar, dass der Wasserweg durch den mittelamerikanischen Isthmus von den USA kontrolliert werden würde. Denn sie brauchten einen sicheren Weg von ihrer West- zu ihrer Ostküste. Noch gab es keine transkontinentalen Zugverbindungen, noch waren viele Gebiete zwischen den Appalachen und den Rocky Mountains wilder Westen, Kampfgebiet zwischen Indianern und Siedlern.
Bereits 1846 erhielten die USA von Kolumbien ein exklusives Transitrecht über die Landenge von Panama, über Verkehrswege jedweder Art, ob bereits bestehende oder noch zu bauende. Dem (nach dem US-Botschafter in Bogotá, Benjamin A. Bidlack benannten) Bidlack-Vertrag sollte schon bald eine ungeahnte Bedeutung zukommen. Denn zwei Jahre nach Unterzeichnung entdeckte ein Zimmermann aus New Jersey in Kalifornien, in der Sierra Nevada, Gold.
Tausende und Abertausende von Glücksrittern machten sich nun von der Ostküste auf in den Westen. Wer den gefährlichen Weg durch die Ebene scheute und keine Zeit oder kein Geld für die monatelange Passage ums Kap Hoorn hatte, der schlug sich durch den Dschungel Panamas. In den ersten Jahren waren es wöchentlich 3000 bis 4000 Männer, die sich der brütenden Hitze, den Stechmücken, den tropischen Wolkenbrüchen und allen erdenklichen Unbilden aussetzten. Die „Hölle von Panama“ wurde zum geflügelten Wort.

Täglich rollt ein Leichenexpress durch den Dschungel
Erst die Fertigstellung einer Eisenbahnlinie 1855 brachte Erleichterung. Bei ihrem Bau starb vermutlich knapp die Hälfte der Arbeiter an Malaria, Gelbfieber, Ruhr oder Cholera. Die genaue Zahl der Opfer – Schätzungen sprechen von 4000 bis 10 000 Toten – wird man nie erfahren. Gezählt wurden damals ohnehin nur die toten Weißen, und Weiße waren unter den Kontraktarbeitern, die aus China, Indien, vor allem aber aus Afrika und von den Antillen kamen, eine kleine Minderheit. Die Panama Railroad Company verschacherte Leichen, die nicht identifiziert werden konnten, an medizinische Fakultäten in aller Welt und konnte vom Erlös dieses gruseligen Exports immerhin ein betriebseigenes Krankenhaus unterhalten.
Die Panama-Eisenbahn wurde zu einem höchst profitablen Unternehmen, und der wirtschaftliche Erfolg gab einen Ausblick auf die lukrativen Geschäfte, die mit einem Kanal zu machen sein würden. So entsandten die USA Ingenieure, um das Gelände zu explorieren und das Land zu vermessen. Die Amerikaner favorisierten eindeutig einen Kanal durch Nicaragua. Doch auf einem Kongress 1879 in Paris, der alle Anstrengungen für das große Projekt einer interozeanischen Wasserstraße zu bündeln versprach und auf dem 22 Staaten vertreten waren, fiel das Votum zugunsten von Panama aus. Das war vor allem einem zu verdanken: dem Franzosen Ferdinand de Lesseps.
Lesseps, ein energischer Mann, der Tüchtigkeit und Erfolg ausstrahlte, Charme und Chuzpe gleichermaßen besaß, übrigens Vater von 17 Kindern, war eigentlich Diplomat, galt aber schlechthin als le grand ingénieur, obwohl er nie eine entsprechende Ausbildung genossen hatte. Zum Helden des technischen Zeitalters wurde er als Erbauer des (1869 eröffneten) Suezkanals. Die französische Kanalgesellschaft, die mit Kolumbien handelseinig geworden war, vertraute ihm nun das neue große Werk an. Als er – bereits 74 Jahre alt – mit seiner Frau, zwei Söhnen und einer kleinen Tochter in Panama eintraf, wurde er stürmisch gefeiert. Am 1. Januar 1880 kam es zum ersten Spatenstich. Den machte allerdings nicht der alte Lesseps, sondern sein Töchterchen Ferdinande. Mit einer Spitzhacke schlug das Kind in eine sandgefüllte Kiste an Bord eines Dampfschiffs, das – ein böses Omen! – aufgrund der Ebbe nicht zu dem Ort fahren konnte, der eigentlich für die Zeremonie ausersehen war.
Lesseps wollte einen Kanal auf Meereshöhe ohne Schleusen zu bauen. Die Probleme waren gewaltig. Immerhin lag die niedrigste Stelle des Höhenzugs zwischen den beiden Ozeanen noch 84 Meter über dem Meeresspiegel. Und ob sie den Chagres-Fluss, der sich in den Atlantik ergießt, würden bändigen können, wussten Lesseps‘ Ingenieure nicht. Immer wieder kam das Erdreich ins Rutschen und machte oft die Arbeit von Wochen oder gar Monaten an einem Tag zunichte.
Das Schlimmste aber waren die Krankheiten. Rund 22.000 Menschen – knapp ein Viertel der am Kanal beschäftigten Arbeiter und Angestellten – erlagen der Malaria, dem Gelbfieber oder anderen Geißeln der Tropen. Von den 25 Krankenschwestern des französischen Krankenhauses fielen 21, von den vier Chefingenieuren der Gesellschaft drei dem Gelbfieber zum Opfer. Im Fahrplan der Panamabahn gab es einen täglichen Leichenexpress.
1887 schließlich musste Lesseps einsehen, dass ein Kanal auf Meereshöhe nicht zu schaffen war, und so beauftragte er Gustave Eiffel, (der zur selben Zeit in Paris den später nach ihm benannten Turm konstruierte) mit dem Bau von Schleusen. Doch da war es schon zu spät. Inzwischen hatten sich die Kosten für das riesige Unternehmen immer höher getürmt. Um einen Bankrott abzuwenden, erlaubte das französische Parlament 1888 der Kanalgesellschaft schließlich, über eine Lotterie ihr Kapital um 720 Millionen Franc aufzustocken. Obwohl Experten dem Unternehmen keine Chance mehr gaben, zeichneten innerhalb kürzester Zeit 350.000 Personen 800.000 Scheine im Wert von jeweils 360 Franc – vor allem im Vertrauen auf den großen Lesseps, der weiterhin einen unerschütterlichen Optimismus an den Tag legte und jeglichen Kleinmut mit Durchhalteparolen bekämpfte.
Doch noch im selben Jahr wurden drei Konkursverwalter bestimmt, und 1889 kam man nicht umhin, die französische Kanalgesellschaft zu liquidieren. Etwa 800.000 Franzosen waren vom finanziellen Zusammenbruch des Unternehmens direkt betroffen, und Friedrich Engels in London notierte lakonisch: „Verpulvert waren die Ersparnisse des kleinen Händlers.“
Der Kollaps der Panamakanal-Gesellschaft stürzte aber nicht nur Hunderttausende von Kleinsparern in die Krise, sondern Frankreichs ganze politische Klasse. 1892 erschien in einem antisemitischen Blatt eine Reihe von Artikeln über eine „jüdische Verschwörung“, die das Debakel herbeigeführt habe. Und nachdem die Buchhaltung der Gesellschaft überprüft worden war, wurde Anklage gegen Lesseps, seinen Sohn Charles und Gustave Eiffel wegen Betrugs und Missbrauchs anvertrauter Mittel erhoben. Die beiden Lesseps wurden zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, Eiffel zu zwei Jahren; ein Kassationsgericht hob die Urteile allerdings wegen Verjährung der Strafschuld wieder auf.
Doch die Affäre weitete sich aus. Die antisemitische Postille, die offenbar eine zuverlässige Quelle hatte, enthüllte, dass vor der Abstimmung über das Lotteriegesetz etliche Parlamentarier von der Kanalgesellschaft bestochen worden seien. Jacques de Reinach, Finanzagent der Gesellschaft, gab zu, dass er über drei Millionen Franc verschiedenen Zeitungen habe zukommen lassen. Als die Polizei ihn verhaften wollte, fand sie ihn tot in seiner Wohnung. Vermutlich hatte er sich das Leben genommen.
Dass sowohl Reinach wie auch ein in die Affäre verwickelter Hochstapler namens Cornelius Herz Juden waren, gab dem Antisemitismus nun weidlich Nahrung. Schließlich wurde bekannt, dass der Finanzminister höchstselbst zusammen mit Reinach am Tag vor dessen Tod zu Herz gegangen war … Skandal reihte sich an Skandal. In kürzester Zeit war nach dem Finanzminister auch noch der Ministerpräsident gestürzt. Drei Exministerpräsidenten und Dutzende von Parlamentariern mussten wegen passiver Bestechung vor Gericht.
Frankreich gibt auf – die USA fangen von vorne an Erst 1902, drei Jahre nach dem Tod Lesseps‘, ermächtigte der US-Kongress Präsident Theodore Roosevelt, die französische Konkursmasse für 40 Millionen Dollar aufzukaufen. Am 3. Januar des folgenden Jahres putschte dann in Panama jene kleine Gruppe von Verschwörern, die übrigens alle bei der Panama Railroad Company arbeiteten. Sie hatten den Kommandanten einer kolumbianischen Truppe, die gerade in Panama gelandet war, von seinen Soldaten weggelockt und festgenommen. Der örtliche kolumbianische Militärkommandant wechselte die Seite, nachdem man ihm genug Geld angeboten hatte. Und rechtzeitig war auch das US-Kriegsschiff Nashville vor der Küste Panamas aufgetaucht, um die Landung weiterer kolumbianischer Truppen abzuwehren.
Nachdem sich so Panama tapfer seine Unabhängigkeit erstritten hatte, wurde in aller Eile der Vertrag ausgehandelt: vom Franzosen Philippe Bunau-Varilla, der einst Lesseps‘ Kanalprojekt geleitet, in die Nachfolgerin der liquidierten Gesellschaft 2,2 Millionen Franc investiert hatte und also an einem schnellen Aufkauf der französischen Konkursmasse interessiert war.
Bunau-Varilla hatte den Verschwörern US-Hilfe versprochen für den Fall, dass sie ihn zum Botschafter Panamas in Washington ernennen würden (obwohl er selber schon seit 18 Jahren nicht mehr in Mittelamerika lebte). Drei Tage nach dem Sieg der „Revolution“ am Isthmus war er Gesandter in den USA. Als Bunau-Varilla – gerade zwölf Tage im Amt – in Washington den Kanalvertrag unterschrieb, war just eine Delegation der neuen Regierungsjunta Panamas in den Vereinigten Staaten eingetroffen, um das Abkommen auszuhandeln. Der Franzose stellte sie vor ein Fait accompli. Womit er seine Mission erfüllt hatte. Drei Tage nach der Ratifikation des Vertrags durch den US-Senat trat Bunau-Varilla von seinem Amt als Botschafter Panamas zurück. Die USA hatten nun freie Hand.
1904 begannen die Arbeiten am (bis dato) größten und teuersten Bauwerk der Welt unter der Leitung von John F. Wallace. Doch schon bald wurde er durch John Stevens abgelöst, und von 1907 an führte John W. Goethals das Werk zu Ende. Der Chagres-Fluss wurde zu einem riesigen See gestaut, durch den heute etwa die Hälfte der Kanalroute verläuft und der 26 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Gigantische Schleusen enstanden, um den Höhenunterschied zu überwinden. Wie viele Touristen fuhr auch Roosevelt – es war die erste Auslandsreise eines US-Präsidenten überhaupt – nach Panama, um sich die gewaltigen Bauarbeiten an der Wasserscheide zwischen Atlantik und Pazifik anzuschauen. Entzückt berichtete er seinem Sohn: „Die riesigen Dampfbagger sind mächtig am Werk; sie schaufeln Massen von Fels und Schotter und Erde auf … Sie fressen sich stetig in den Berg hinein und tragen ihn immer weiter ab … Mit intensiver Energie erfüllen Männer und Maschinen ihre Aufgaben, wobei die Weißen die Arbeit überwachen und die Maschinen bedienen, während Zehntausende von Schwarzen die grobe körperliche Arbeit überall dort verrichten, wo es sich nicht lohnt, Maschinen einzusetzen.“
5.609 Menschen jeder Hautfarbe (die Amerikaner führten genau Buch) ließen beim zweiten Anlauf zum Bau des Kanals ihr Leben. Das waren etwas mehr als sieben Prozent der insgesamt 75 000 Menschen, die hier arbeiteten – verglichen mit der französischen Periode immerhin ein gewisser Fortschritt.
Inzwischen hatte man die Aedes- und die Anophelesmücke als Überträgerinnen von Gelbfieber und Malaria identifiziert. Und die Amerikaner sorgten nicht nur dafür, dass in den Kirchen das Weihwasser täglich ausgetauscht wurde, sondern auch dafür, dass die Beine der Krankenhausbetten nicht mehr in Wassertöpfen standen, um das Ungeziefer am Hochkrabbeln zu hindern. Jede Pfütze wurde zur Gefahrenzone erklärt, und in einem einzigen Jahr versprühte man 120 Tonnen Insektizide.
Im Oktober 1913 war es so weit: Präsident Roosevelt gab in Washington das Signal zur letzten Sprengung, das via Telegrafenleitung nach Panama übertragen wurde: Mehrere hundert Dynamitstangen detonierten – und die beiden Weltmeere waren endgültig vereint. Doch als dann zehn Monate später, am 15. August 1914, bei der feierlichen Eröffnung des bis dahin größten und teuersten Bauwerks aller Zeiten das erste Schiff den Kanal durchquerte, war dies der Presse kaum mehr eine Schlagzeile wert. Wenige Tage zuvor hatte in Europa ein Krieg begonnen, der zum Weltkrieg werden sollte.

Von Thomas Schmid – © DIE ZEIT 16.12.1999 Nr.51