ATHEN. Vor zehn Jahren war alles wunderbar. Das Geschäft boomte. „Einem Richter baute ich ein Haus – es war die Mitgift für seine Tochter – für 600 000 Euro“, erzählt Petros Villegas, der sich mit gutem Grund anders nennt, als er heißt, „und das Ferienhaus für den Kapitän der Marine war noch etwas teurer.“ Beide Häuser stehen in Kifissia, dem nobelsten Vorort von Athen, wo Platanen und Pinien Schatten spenden und die neureiche Schickeria in Edelboutiquen einkauft. Der Richter und der Kapitän verdienten beide monatlich rund 2 000 Euro. Für den Bauingenieur besteht kein Zweifel, dass er Schwarzgelder verbaut hat. Über zwei Millionen Häuser stehen in Griechenland, die illegal errichtet wurden. „Heute ist das schwieriger geworden“, sagt Villegas, „und deshalb flüchtet das Geld ins Ausland, vor allem nach Zypern.“
Korrupte Kontrolleure
Die internationale Finanzkrise hat den Bauingenieur arbeitslos gemacht. „Im Jahr 2009 hatte ich keinen einzigen Auftrag“, berichtet er, „aber als der Steuerbeamte kam, habe ich jedes Mal tausend Euro hingeblättert, im Februar, im September und im Dezember.“ Wer nichts verdient, hat zwar nichts zu verstecken. Aber hätte Villegas das Fakelaki nicht gegeben, dann hätte der Mann vom Finanzamt in den alten Büchern genug Ungereimtheiten entdeckt oder notfalls erfunden, um eine höhere Summe abzuzocken. So war beiden gedient. Fakelaki heißt übersetzt: kleines Kuvert. „Es wird es weiterhin geben“, sagt der Bauingenieur resigniert, „die EU-Kommission wird nur auf die Zahlen schauen, Bilanzen kontrollieren, Verschuldungsraten berechnen. Ob die griechische Regierung die notwendigen Strukturreformen anpackt, ist den Europäern doch piepegal.“
Giannis Grivas sieht das entschieden anders. Der Präsident der Gewerkschaft der 15 000 Steuereintreiber hat eine dröhnende Stimme und schreit jeden Satz in einer Lautstärke, die keinen Widerspruch duldet: „Vierzig Prozent, von dem, was dem Staat zusteht, sind ihm bisher verweigert worden! Das macht über 20 Milliarden Euro aus! Das wird nun nicht mehr akzeptiert!“
Seit Jahresbeginn schon müssen Einzelhändler für jeden Verkauf, und sei es auch nur den eines Brötchens, eine Quittung ausstellen. Ab 1. Juli werden auch die Zeitungsverkäufer erfasst. Die Griechen wurden öffentlich ermahnt, die Zettelchen anzufordern. Um ihnen den ungewohnten Schritt zu erleichtern, stellte man ihnen bei Einreichung von Quittungen Steuerabzüge in Aussicht. Zwar weiß noch niemand, was steuerabzugsfähig werden soll, aber schon träumen Spaßvögel davon, Quittungen zu sammeln und zu verkaufen, natürlich ohne dafür Quittungen auszustellen.
Werden viele Steuerbeamte künftig nicht mehr beide Augen zudrücken und die Hand hinhalten? Grivas hofft es. Der Druck ist da. Manchmal hilft der Staatsanwalt nach. Bisher werde jährlich gegen mehr als hundert Steuerbeamte – weniger als ein Prozent – Ermittlungen eingeleitet. Ungefähr jeder zehnte von ihnen wird gefeuert. Dass aber 99 von 100 Steuerbeamten ihren Beruf korrekt versehen, glaubt kaum ein Grieche. So denken viele, dass das Dreidrittelsystem weiter praktiziert wird – ein Drittel des fälligen Steuerbetrags sackt der Steuereintreiber ein, ein Drittel behält der Steuerpflichtige für sich, und ein Drittel fließt in den Staatssäckel.
Doch Grivas ist optimistisch. 16 974 Swimmingpools gibt es im Norden von Athen, wo die Reichen wohnen. Das haben Satellitenbilder ergeben. Nur für 324, also zwei Prozent, wurden Steuern entrichtet. „Den Besitzern der übrigen geht es jetzt allen an den Kragen!“ warnt er. Wirklich? Grivas spürt den Zweifel und fügt hinzu: „Was die Korruption im Kleinen betrifft, sind wir Griechen ja Meister. Aber wenn es um Bestechung im Big Business geht, schlagt ihr Deutschen uns bei Weitem. Siehe Siemens.“ Der deutsche Konzern hat tatsächlich eine Reihe griechischer Parlamentarier bestochen. Inzwischen ist der frühere Siemens-Chef in Griechenland, Michael Christoforakos, laut einem Bericht des Spiegel bereit, 1,2 Millionen Euro an Schadenersatz zu zahlen. Bei einem weiteren griechischen Ex-Manager, der sich hartleibig zeige, stehe eine Lösung aber noch aus, hieß es.
Auf der Rangliste von Transparency International, einer Nichtregierungsorganisation, die jedes Jahr das Ausmaß der Korruption aller Länder dieser Welt berechnet, nimmt Griechenland unter den Staaten der Euro-Zone den Spitzenplatz ein. Kostas Bakouris, Präsident der griechischen Sektion der Institution mit Hauptsitz in Berlin, meint, das System des „Rousfeti“, des „kleinen Gefallens“, habe zu einer Wirtschaft des Fakelaki und zur Vetternwirtschaft im Staatsapparat geführt, der immer mehr aufgebläht wurde. „Hätte es die Finanzkrise nicht gegeben, hätten wir einfach so weiter gemacht“, meint Bakouris. „Keine Regierung sagte: ‚Halt! So geht es nicht weiter.'“
Die Verschuldungskrise hat auch ihr Gutes. „Alle sind nun gegen die Korruption“, stellt Bakouris fest, „die Griechen lassen nicht mehr alles durchgehen, und die Regierung hat gemerkt, dass die Korruption auch ein wirtschaftliches Problem ist.“ Jeder erwachsene Grieche hat im vergangenen Jahr im Durchschnitt 1 450 Euro Bestechungsgelder bezahlt, um die Ausstellung eines Führerscheins zu beschleunigen, um einen Operationstermin zu kriegen, um Steuern zu sparen …
Die Korruption kostet den Staat jährlich über 20 Milliarden Euro, behauptet Leandros Rakintzis. Der vom Kabinett bestellte Generalinspektor der öffentlichen Verwaltung ermittelt wegen Beamtenbestechung und hat 2009 in 185 Fällen die Staatsanwälte eingeschaltet. „Am schlimmsten sieht es in den Gemeindeverwaltungen, im öffentlichen Gesundheitswesen und im Bausektor aus“, sagt Rakintzis.
Griechenland plant, die Zahl der Gemeinden etwa auf ein Drittel zu reduzieren und statt 52 soll es noch 13 Regionen geben. Darüber sollen zwei Milliarden Euro eingespart werden. Es ist auch ein Werg, gewachsene Korruptionsnetze zerschlagen zu können. Und was sagt Rakintzis zu den über zwei Millionen illegal gebauten Häusern? „Es gibt inzwischen eine Kommission, die für den Abriss von Häusern zuständig ist“, sagt er, „aber wir können natürlich nicht zwei Millionen Häuser abreißen.“ Man werde nur gegen Neubauten vorgehen.
Im Übrigen habe er keine Vollmachten, sagt Rakintzis und lässt seinen schweren Körper in den Sessel fallen, seine Aufgabe sei es, Vorschläge zur Bekämpfung der Korruption zu machen. Inwieweit die Regierung diese umsetze, darauf habe er keinen Einfluss. Der Generalinspektor sagt die Sätze mit gespieltem Lächeln, aus dem auch ein Stück Resignation zu sprechen scheint: Ich tu mein Bestes, aber es gibt viel zu tun. Vieles muss anders werden. Aber wird sich hier überhaupt je etwas ändern? Gehören Fakelaki und Rousfeti nicht längst zu Griechenland wie Rebetiko, Souvlakis und Akropolis?
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 10.05.2010