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Die versteinerte Revolution PDF Drucken

Thomas Schmid, 31.12.2008

Vor 50 Jahren übernahm Castro die Macht auf Kuba: Sein Regime hat US-Embargo und Kollaps der Sowjetunion überlebt. Heute herrscht Tristesse


Als am 1. Januar 1959 der kubanische Diktator Fulgencio Batista ins Exil flüchtete und kurz danach die bärtigen Revolutionäre aus der Sierra Maestra in Havanna durch die Straßen zogen, ahnte niemand, dass Fidel Castro zehn US-Präsidenten die Stirn bieten würde. Ein halbes Jahrhundert lang blieb der Anführer der 82 Guerilleros, die im Dezember 1956 mit einem Motorboot an der Südküste der Insel gelandet waren und den bewaffneten Kampf gegen die Diktatur aufgenommen hatten, an der Macht. Erst im Februar dieses Jahres gab Fidel - seit 2006 schwer erkrankt - das Ruder an seinen Bruder Raúl ab.



Auch konnte am 1. Januar 1959 niemand ahnen, dass sich das revolutionäre Kuba innerhalb von wenigen Jahren in eine kommunistische Diktatur verwandeln würde. Die Kommunisten waren damals eine ziemlich unbedeutende Gruppe, die zum Teil die Revolutionäre, zum Teil den Diktator unterstützt hatten. Fidel Castro traute ihnen nicht. Noch im April 1959 erklärte er: "Ich habe in einer klaren und definitiven Form gesagt, dass wir keine Kommunisten sind." Sein Bruder Raúl hingegen hegte durchaus Sympathien für die Sowjetunion.

Als Milchmann verkleidet

Aber schon im ersten Revolutionsjahr wurden entscheidende Weichen gestellt: Im Herbst 1959 wurde Huber Matos, einer der obersten fünf Revolutionskommandanten, nach einem Schauprozess zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Er war für die erklärten Ziele der Revolution - wirtschaftliche und soziale Reformen, Wiederinkraftsetzung der von der Diktatur aufgehobenen demokratischen Verfassung von 1940 - eingetreten. Die Strafe saß er bis auf den letzten Tag ab. Heute lebt er in Miami.

Ebenfalls noch im Herbst 1959 wurden zwei gemäßigte Minister gefeuert und der von den Revolutionären eingesetzte Staatspräsident. Er hatte öffentlich vor der Infiltration der Armee durch Kommunisten gewarnt und musste schließlich vor dem organisierten Mob - als Milchmann verkleidet - in eine Botschaft fliehen. Den liberalen Kreisen, die die Revolution begrüßt hatten, war damit signalisiert, dass sie nun nicht mehr gebraucht würden.

Im April 1961, einen Tag nach der Bombardierung kubanischer Militärbasen durch US-Flugzeuge und einen Tag vor der von der CIA gesteuerten Invasion von Exilkubanern in der Schweinebucht, verkündete Fidel Castro den "sozialistischen Charakter" der kubanischen Revolution. Doch erst das US-Embargo von 1962 trieb Kuba endgültig in die Arme der Sowjetunion.

1965 wurde offiziell die neue Kommunistische Partei gegründet, andere Parteien wurden verboten, Dissidenten verschwanden hinter Gittern, die Kirche wurde drangsaliert, die Schwulen in Umerziehungslager gesteckt. Es entwickelte sich eine stalinistische Tropendiktatur, die dem Volk eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sowie kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung bot. Davon profitierten vor allem die traditionell vernachlässigten schwarzen Unterschichten. Zwar gehörte Kuba - gemessen am Jahreseinkommen pro Kopf - vor der Revolution zu den reichsten Ländern Lateinamerikas, doch lebten drei Viertel der Kubaner ohne fließendes Wasser und ohne Strom auf dem Land.

Analphabetenrate und Kindersterblichkeit sanken nun gegen Null, die Lebenserwartung stieg rasant. Die Menschen lebten in einfachen Verhältnissen, aber sie waren gesund ernährt, und die Kinder waren gut gekleidet und gingen alle zur Schule - keine Selbstverständlichkeit in Lateinamerika und der Karibik. Die meisten Kubaner waren stolz auf ihre Revolution.

Doch es war eine Revolution auf Pump. Zeitweilig verdiente die Zuckerinsel viermal mehr Devisen mit dem Export des von der Sowjetunion zu Billigstpreisen importierten Erdöls als mit der Ausfuhr von Zucker, seines traditionell wichtig-sten Exportgutes. Wie sehr Kuba vom Großen Bruder im Osten abhängig war, zeigte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die 85 Prozent des kubanischen Exportvolumens kaufte. Als Moskau die Alimente 1991 einstellte, stürzte Kuba in eine Versorgungskrise, von der es sich bis heute nicht wieder erholt hat. Das Bruttonationalprodukt sank innerhalb eines einzigen Jahres um 30 Prozent.

Damals wurde die offiziell bis heute andauernde "Sonderperiode in Zeiten des Friedens" ausgerufen, eine Art Kriegswirtschaft. In den Krankenhäusern entstanden Dollar-Etagen. Wer nur über kubanische Pesos verfügte, hatte Schwierigkeiten, Penicillin zu bekommen. Und schon bald mussten Verwandte den Patienten Bettlaken und Nahrung ins Krankenhaus bringen.

Unter dem Druck der wirtschaftlichen Not wurde der Massentourismus gefördert und 1993 der Besitz des US-Dollars legalisiert. Damit verstärkte sich die Abwanderung von Fachkräften aller Art in die "Dollarwirtschaft". Bis heute kann ein Kellner eines internationalen Restaurants mit Trinkgeldern leicht an einem Tag so viel verdienen wie ein Chefarzt in einem Monat. Vor allem aber vergrößerte sich die Kluft zwischen den hell- und den dunkelhäutigen Kubanern. Denn nun flossen immer mehr Dollars aus dem Exil an die Verwandten in Kuba. Die Exilkubaner in Miami aber sind fast alle weiß - und weiß sind auch ihre Angehörigen auf der Insel.

1994 geschah in Havanna Unerhörtes. Einige hundert Jugendliche zogen über den Malecón, die Küstenstraße der Hauptstadt, und skandierten Parolen gegen die Regierung. Die Scheiben von Dollar-Shops gingen in Brüche. Castro reagierte sofort. Er setzte sich an die Spitze einer eilig mobilisierten Gegendemonstration und forderte die Aufmüpfigen zum Gespräch auf. Verwundert, dem mächtigen Comandante en jefe persönlich gegenüberzustehen, löste sich der Protest schnell auf. Aber schon wenige Tage danach öffnete Castro das Ventil. Von der Polizei unbehelligt, zimmerten Kubaner Boote und Floße. Über 30 000 flohen innerhalb eines Monats über die nur 150 Kilometer breite Meerenge nach Florida.

Schon Fidel hatte aufgrund der Versorgungskrise begrenzt freie Bauernmärkte, freies Handwerkertum und private Gaststätten zugelassen. Doch immer, wenn sich dadurch allzu viel soziale Ungleichheit entwickelte, schloss er Märkte und drosselte das freie Handwerk mit hohen Steuern.

Sein Bruder Raúl ist da weit pragmatischer. Zur Zeit importiert Kuba die Hälfte seiner Lebensmittel - zum großen Teil aus den USA, deren Regierung den Agrokonzernen erlaubt, das Embargo zu durchbrechen. Selbst Zucker führt die Zuckerinsel heute ein. 40 Prozent des bebaubaren Bodens liegen brach oder sind ausgelaugt. Also lässt Raúl privaten Landwirten und Kooperativen staatliches Land zur Bewirtschaftung zuteilen.

Auch bietet Raúl Castro neue Konsumanreize, um die Gemüter zu beruhigen: Kubaner können nun Computer und Handys kaufen, ab 2009 auch Toaster und Klimageräte. Ab Januar werden auch die Grenzen für Maximalgehälter aufgehoben. Dem todkranken Fidel ist all dies ein Gräuel. Raúl hingegen hat verkündet: "Sozialismus bedeutet Gleichheit der Rechte und Chancen, nicht der Einkommen. Gleichheit ist nicht Gleichmacherei."

Nachdem Raúl im Februar die Macht übernommen hatte, hofften viele in Kuba und noch mehr im Ausland auf eine "chinesische Lösung": wirtschaftliche Öffnung bei Beibehaltung der politischen Herrschaft der Kommunistischen Partei. Doch hat Kuba weder den großen Binnenmarkt Chinas noch dessen Wirtschaftskraft.

Und vor allem gibt es im Land noch immer eine gespaltene Währung. Mit dem konvertiblen Peso, in den nun westliche Währung getauscht werden muss, kann man - außer Autos und Immobilien - bald alles legal kaufen. Für den kubanischen Peso gibt es in den staatlichen Versorgungsläden, das Allernotwendigste - Reis, Zucker, Mehl, Öl -, wenn es in der kubanischen Mangelwirtschaft denn überhaupt aufzutreiben ist. Mit einer Währungsreform, Voraussetzung für jede Form von Marktwirtschaft, rechnen Spezialisten frühestens 2010 oder 2011. Eine wirtschaftliche Öffnung wird es unter Raúl allenfalls äußerst langsam und nur marginal geben. Eine politische Öffnung - Mehrparteiensystem, freie Presse, Ausreisefreiheit - ist überhaupt nicht in Sicht.

Die Lösung liegt in den USA

Am ehesten wird sich an Kubas Außenpolitik einiges ändern. Der Ideologe Fidel pflegte eine intensive Freundschaft mit Hugo Chavez, dem linkspopulistischen Präsidenten Venezuelas, der Kuba billiges Erdöl im Tausch gegen über 20 000 Ärzte schickte. Der Pragmatiker Raúl hingegen setzt angesichts der gefallenen Ölpreise und der veralteten Anlagen in Venezuela auf Brasilien. Der Auftrag, vermutete riesige Erdölvorkommen vor der Küste Kubas zu explorieren, ging an die vom Sozialdemokraten Luiz Inacio Lula da Silva regierte Wirtschaftsmacht.

Während Fidel wie Chavez in schrillen Tönen über den Imperialismus herziehen, schlägt Raúl einen betont nüchternen Ton an. Er sucht das Gespräch mit dem designierten US-Präsidenten Barack Obama. Tatsächlich liegt wohl die Lösung der kubanischen Probleme in den USA. Es geht nicht um eine Aufhebung des Embargos. Dieses brauchte Fidel geradezu zur ideologischen Aufrüstung und innenpolitischen Mobilisierung. Und wenn eine Lockerung des Boykotts in Aussicht stand, hat er den Konflikt mit den USA deshalb oft verschärft.

Eine Aufhebung des Handelsembargos würde zwar Kuba wirtschaftlich nützen. Viel wichtiger aber ist das kubanische Kapital, das in Miami liegt, und das die Insel so dringend braucht. Die kubanische Exilgemeinde in Florida, eine Million Menschen stark, floriert und ist wohl auch bereit, in Kuba zu investieren. Schon längst ist sie nicht mehr im Griff der konterrevolutionären Hardliner von einst. In Miami ist eine neue Generation herangewachsen, weniger ideologisch, ohne revanchistische Gefühle, einfach am Geschäft interessiert.

Das Durchschnittsalter der sieben Mitglieder der neuen ständigen Kommission des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, die zugleich der Kern der Staatsführung ist, beträgt 71 Jahre. Nur einer der sieben Herren ist noch nicht im Rentenalter. Vermutlich muss erst in Kuba eine jüngere Führung heranwachsen, bis die Weichen für eine andere Zukunft gestellt werden. Je später das ist, desto weniger wird von der Revolution, die vor 50 Jahren so hoffnungsvoll begonnen hat, noch zu retten sein. Und zu retten gibt es schon heute nicht mehr viel.

© Berliner Zeitung



 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid