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Hundert Palästinenser für einen Israeli PDF Drucken


Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 06.01.2009

Gewiss, Israel hat ein Recht, seine Bevölkerung vor dem Terror wahllos einschlagender Raketen aus dem Gaza-Streifen zu schützen. Doch mit dem Krieg gegen die Palästinenser im "größten Gefängnis mit Meeresblick" missachtet es drastisch das Gebot der Verhältnismäßigkeit: In der letzten Woche starben für jeden getöteten Israeli ungefähr hundert Palästinenser.



Israels vorrangiges Ziel mag die militärische Schwächung der Hamas sein. Das könnte durchaus gelingen. Ob die Hamas auch politisch geschwächt aus dem Krieg hervorgehen wird, ist offen. Sicher ist nur: Der Hass der Palästinenser auf die Israelis wird größer - und jede Verständigung schwieriger. Wenn nun der französische Präsident Nicolas Sarkozy, EU-Chefdiplomat Javier Solana, der Sondergesandte des Nahostquartetts Tony Blair sowie die Außenminister Frankreichs, Schwedens und Tschechiens sich in Kairo, Amman, Jerusalem und Ramallah auf die Füße treten, kann diese hektische Diplomatie die Ratlosigkeit nicht kaschieren. Israel lässt sich nicht hineinreden. Es wird die Bodenoffensive beenden, wenn es ihm opportun erscheint.

Israel hat den Krieg auch gestartet, weil es ihm opportun erschien. In den USA regiert noch wenige Tage George Bush als "lahme Ente". Und vor allem wird in Israel in einem Monat gewählt. Die Spitzenpolitiker der drei wichtigsten Parteien - Zipi Livni (Kadima), Benjamin Netanjahu (Likud) und Ehud Barak (Arbeitspartei) - sind nun alle Falken. Und keiner von ihnen wird es wagen, mit den Wählern Tacheles zu reden, ihnen zu erklären, dass jede Aussicht auf Frieden, den die Israelis in ihrer übergroßen Mehrheit sicher wollen, nun in noch weitere Ferne rückt. Selbst ob die verängstigten Israelis nach dem Krieg in größerer Sicherheit leben, ist zweifelhaft.

In Israel gibt es keine Opposition, die die Regierung stoppen könnte. Kaum ein Israeli kennt die Lebensumstände der Palästinenser in Gaza - kaum ein Palästinenser das Leben in Israel. Das war nicht immer so. Bis zum Ausbruch der ersten Intifada 1987 arbeiteten hunderttausende Palästinenser aus den besetzten Gebieten in Israel und viele Israeli gingen in Ramallah einkaufen. Heute gibt es keine Kontakte mehr und eine gespaltene Wahrnehmung: Auf beiden Seiten sieht man nur die eigenen Opfer. Und mit jedem Krieg wächst der mit Antisemitismus vermischte Hass auf der einen Seite ebenso wie die von Rassismus nicht freie Verachtung auf der anderen.

Ein Bonmot besagt: Im Nahostkonflikt wurde keine Gelegenheit verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen. Das gilt für die Palästinenser, die 1948 den UN-Friedensplan abgelehnten, und für die PLO, die Jahrzehnte brauchte, bis sie das Existenzrecht Israels anerkannte. Und es gilt für Israel, das einst die Hamas gezielt förderte, um die PLO zu schwächen. Es hat systematisch verhindert, dass der palästinensische Präsident Mahmud Abbas politische Erfolge vorzeigen konnte. Israel hat damit zur Wahlniederlage der gemäßigten PLO beigetragen und sieht sich jetzt mit der Hamas konfrontiert, deren Popularität mehr in ihrer Hilfe bei der Bewältigung des schweren Alltags als in den Hassreden auf den jüdischen Staat gründet.

Wie eine Friedenslösung im Nahen Osten aussehen wird, ist längst klar: Israel wird die meisten Siedlungen im Westjordanland räumen müssen. Und es kann die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete - die Golanhöhen und Ostjerusalem - nicht behalten. Zudem muss es den Palästinensern einen überlebensfähigen Staat zugestehen. Im Gegenzug wird es in anerkannten sicheren Grenzen leben. Die Hamas muss dementsprechend das Existenzrecht Israels anerkennen. Vor drei Jahren deutete eine Fraktion der Islamisten immerhin an, dass sie dazu bereit sei. Die Weigerung Israels, der USA und der EU, mit der Hamas, die die Wahlen gewonnen hatte, in Dialog zu treten, hat seitdem jedoch die Hardliner gestärkt.

Der Krieg im Gaza-Streifen wird in einigen Tagen oder schlimmstenfalls in einigen Wochen zu Ende sein. Danach werden die alten ungelösten Probleme wieder zur Debatte stehen. Israel und die Palästinenser können sie nicht lösen. Beide Seiten sind zu befangen in ihrer Vorstellungs- und Wahrnehmungswelt. Es bedarf der Hilfe von außen.

Nach dem Scheitern von Camp David, der Road Map des Nahostquartetts und der Vereinbarung von Annapolis könnte eine Chance darin liegen, Länder wie die muslimische Türkei - sie vermittelte schon zwischen Syrien und Israel - und gemäßigte arabische Staaten in Verhandlungen unter UN-Schirmherrschaft einzubeziehen. Dann gehören auch die Golan-Höhen, die Unterstützung der islamistischen Hamas und Hisbollah durch Syrien sowie Iran aufs Tapet. Doch ohne die Mithilfe der USA, die allein den nötigen Druck auf Israel ausüben können, wird es keine Lösung geben. Barack Obama muss schon bald entscheiden, ob er die alte US-Politik gegenüber Israel bruchlos fortsetzen oder innen- wie außenpolitisch Streit wagen will.

© Berliner Zeitung




 

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