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Zwischen Recht und Aussöhnung PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 17.02.2009

Pol Pot war ein Träumer des Absoluten. Seine Utopie war eine klassenlose Gesellschaft. Das Geld wurde abgeschafft, die Religion verboten. Kambodscha sollte zu einem reinen Agrarstaat werden. Sämtliche rund drei Millionen Einwohner der Hauptstadt Phnom Penh wurden 1975 aufs Land evakuiert. Die idealen Verhältnisse sollten durch die terroristische Korrektur der realen Verhältnisse erzwungen werden.


Etwa 1,7 Millionen Kambodschaner bezahlten den Traum von "Bruder Nr. 1", wie sich der Diktator nannte, mit ihrem Leben. Intellektuelle galten als überflüssig. Eine Brille zu tragen, konnte deshalb das Todesurteil bedeuten. Ärzte und Lehrer wurden zu Tausenden gefoltert und erschossen. Regimegegner sowieso. Mit fortschreitender Paranoia entdeckte Pol Pot immer mehr Spione, Verräter und Volksschädlinge in seiner eigenen Partei, in seiner persönlichen Entourage, im inneren Führungszirkel der Macht.

 

 


1979 marschierten vietnamesische Soldaten in Kambodscha ein und setzten Pol Pots Traum ein Ende. Geblieben ist ein Trauma, das die Gesellschaft der Überlebenden bis heute prägt. Es hat genau drei Jahrzehnte gedauert, bis eines der großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts endlich vor den Schranken der Justiz verhandelt wird. Heute beginnt in Phnom Penh das erste Verfahren gegen einen Schergen der Diktatur - über zehn Jahre nach dem Tod des "Bruders Nr. 1". Prozesse gegen vier Hauptverantwortliche der Massaker sollen folgen.

Man mag bedauern, dass es 30 Jahre gedauert hat, bis es nun so weit ist. Den Kambodschanern selbst ist es kaum vorzuwerfen. Den Massenmord an einem Viertel der Gesamtbevölkerung überlebten landesweit gerade zehn Juristen. Zehntausende Kambodschaner waren an den Verbrechen direkt beteiligt. Die Gesellschaft war zerstört, das Land von fremden Truppen besetzt.

Ein internationales Tribunal aber, vom UN-Sicherheitsrat autorisiert, war nach dem Zusammenbruch des Pol-Pot-Regimes ein Ding der Unmöglichkeit. Die Sowjetunion unterstützte Vietnam. Die USA halfen - allerdings vergeblich - Pol Pot und seinen Roten Khmer, die sie in ihrem Krieg gegen Vietnam, in den sie Kambodscha 1970 hineingezogen hatten, noch erbittert bekämpft hatten. Es herrschte Kalter Krieg, und da war der Feind des Feindes ein Freund - und mochte auch das Blut von 1,7 Millionen Kambodschanern an ihm kleben.

"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" - und um solche geht es im Wesentlichen in Kambodscha - sind seit dem Londoner Statut vom Mai 1945, das die Rechtsgrundlagen der Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher festlegte, ein Straftatbestand. Doch konnte sich im Kalten Krieg, als sich die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat systematisch gegenseitig blockierten, keine internationale Justiz etablieren, die die Schurken hätte zur Rechenschaft ziehen können. So blieben auch die amerikanischen Verbrechen in Vietnam und die sowjetischen in Afghanistan ungesühnt.

Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung der Blöcke betrat die Justiz wieder die Weltbühne. Der UN-Sicherheitsrat wurde wieder handlungsfähig. Er schuf 1993 das internationale Jugoslawien-Tribunal, das bis heute 57 Kriegsverbrecher rechtskräftig verurteilte. Ein Jahr später wurde in Arusha (Tansania) ein UN-Sondertribunal für die Sühnung des Genozids in Ruanda eingerichtet. Im Jahr 2000 wurde das UN-Sondergericht für Sierra Leone gegründet, vor dem sich nun der liberianische Ex-Präsident Charles Taylor verantworten muss. 2003 trat der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit an, der vor drei Wochen seinen ersten Prozess eröffnete und der vermutlich schon bald zum ersten Mal einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Präsidenten, den Sudanesen Omar al-Bashir, ausstellen wird.

Auch Kambodscha gehört in diese Reihe. Zwar werden die greisen überlebenden Hauptverbrecher des Massenmords in Kambodscha selbst und vorwiegend nach kambodschanischem Recht verurteilt, aber von der Uno bestellte Juristen sind Teil des Gerichts und haben eine Sperrminorität. Auch die Beschränkung auf nur fünf Verfahren gegen mutmaßliche Massenmörder ist ein Kompromiss.

Die Justiz agiert nie im politikfreien Raum. Von daher ist oft abzuwägen zwischen den Bemühungen um Frieden und der Durchsetzung des Rechts. Mitunter gibt es da einen Zielkonflikt. In Den Haag und Sierra Leone geht es vornehmlich darum, der Straffreiheit von Massenmördern Einhalt zu gebieten und im Sinn einer Generalprävention Diktatoren abzuschrecken. Im buddhistisch geprägten Kambodscha, wo zehntausende Mörder wohl weiterhin frei herumlaufen werden, mag die Aussöhnung im Vordergrund stehen. Der Prozess in Phnom Penh, bei dem erstmals auch Opfer als Nebenkläger auftreten dürfen, befördert die Enttabuisierung der jüngsten Geschichte und damit die Selbstverständigung einer traumatisierten Gesellschaft.

© Berliner Zeitung

 

 

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid