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Es sitzen alle in einem Boot PDF Drucken


Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 03.04.2009

Die Lage ist desolat. Niemand weiß, wann die Talsohle erreicht wird, wie viele Milliarden oder Billionen an faulen Krediten noch in Banken schlummern, ob die Konjunkturpakete wirken oder verpuffen, was die auf dem G20-Gipfel in London angepeilte Aufstockung der Mittel für den IWF den Schwellen- und Entwicklungsländern tatsächlich bringt und wie schnell sich neue Regeln zur Kontrolle der Finanzmärkte durchsetzen. Die Krise ist ubiquitär. Wir sitzen alle in einem Boot. Doch gibt es keinen Steuermann. Darüber kann auch der Optimismus nicht hinwegtäuschen, den die Präsidenten und Premiers der G20- Staaten nun verbreiten.
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Aber es gibt Hoffnung. So global wie die Krise sind auch das Bewusstsein, dass ihre Überwindung eine gemeinsame Kraftanstrengung erheischt, und der politische Wille zur Zusammenarbeit oder zumindest zum Dialog. Dies zeigt sich auch auf anderer Ebene. Am Rand des G20-Gipfels vereinbarten der US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew eine drastische Verringerung ihrer strategischen Atomwaffenarsenale. Und vom Nato-Gipfel, der heute in Straßburg und Baden-Baden beginnt, werden ebenfalls positive Signale erwartet. Zwar wurden vorgestern noch Kroatien und Albanien ins militärische Bündnis aufgenommen, aber ein Beitritt der Ukraine und Georgiens ist auf Eis gelegt, ebenso der von George W. Bush in Polen und Tschechien anvisierte Raketenschild. Der Westen nimmt Rücksicht auf russische Befindlichkeiten.

Die Welt ordnet sich unter dem Druck der globalen Finanzkrise gewissermaßen neu. Wie nach der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre und dem Zweiten Weltkrieg 1944 in Bretton Woods. Nur war damals aus Krise und Krieg eine starke, von der Sowjetunion allerdings in Schach gehaltene Führungsmacht hervorgegangen: die Vereinigten Staaten von Amerika. Erst mit dem Fall der Mauer und der Implosion des Sowjetimperiums stiegen die USA dann zum unumstrittenen Hegemon auf.

Die Überwindung der bipolaren Welt bot durchaus Chancen. Die Vereinten Nationen, in deren Sicherheitsrat sich die USA und die UdSSR jahrzehntelang gegenseitig blockiert hatten, gewannen neue Bedeutung. Blauhelmeinsätze weltweit zeugen davon. Unter Bush, dem Älteren, träumten naive Optimisten sogar von einer Weltinnenpolitik, und es tauchte das Wort vom "Ende der Geschichte" auf.

Bush, der Jüngere, bereitete den Träumereien ein Ende. Er teilte die Welt in Gut und Böse ein und Europa in ein altes und ein neues, ihm willfähriges. Er schwächte die Uno nach Kräften, um die absolute Vorherrschaft der USA zu sichern. Militärisch, politisch und wirtschaftlich hat er ein Desaster hinterlassen, mit dem sich jetzt die ganze Welt beschäftigen muss.

Die Hegemonie, die die USA nach der letzten Weltwirtschaftskrise errungen haben, zerbröselt in der aktuellen Krise. Zwar sind die USA militärisch noch immer ohne Konkurrenz. Doch ihre politische Führungsrolle haben sie eingebüßt, und wirtschaftlich werden sie von China bedrängt, das US-Staatsanleihen in Höhe von rund einer Billion Dollar gekauft hat - und nun den Greenback als Leitwährung in Frage stellt. Wo es aber keine Hegemonie mehr gibt, sortieren sich die Kräfte neu. Das birgt Chancen wie Risiken.

Dass in diesem historischen Moment in den USA Barack Obama das Ruder übernommen hat, ist für die ganze Welt eine Chance. In zweieinhalb Monaten hat der neue US-Präsident vieles aufgemischt, alten Streit begraben, neue Horizonte eröffnet. Während sein Vorgänger alles dran setzte, die düstere Prophezeiung vom "Zusammenprall der Kulturen" zu bestätigen, streckt Obama den Führern der islamischen Welt die Hand entgegen. In Lateinamerika, wo sein Vorgänger sich geradezu obsessiv Feinde schaffte, stößt er weithin auf Sympathie. Vieles an Obamas Politik mag symbolisch sein, aber auch Symbole haben ihre Kraft.

Doch wird sich die Politik weiterhin von Interessen leiten lassen. Und da sind Konflikte vorgezeichnet. Die Versuchung des Protektionismus ist in der Krise groß, weil jeder sich selbst der Nächste ist. Noch subventionieren die USA ihre Farmer massiv- zu Lasten der Agrarmacht Brasilien wie des bitterarmen Burkina Faso. Ob sich das ändern wird, bleibt abzuwarten. Der Wettbewerb um die knapper werdenden Ressourcen wird sich verschärfen. Kriege um sauberes Trinkwasser sind nicht auszuschließen.

Am Wirtschaftsgipfel waren 20 Staaten beteiligt, die 80 Prozent der globalen Wirtschaftskraft repräsentierten. Die übrigen 173 Staaten, die sich die restlichen 20 Prozent teilen, waren nicht vertreten, obwohl die ärmsten unter ihnen von der Krise am meisten betroffen sind. Sie saßen in London nicht mit im Boot. Ihre auffälligsten Vertreter besteigen irgendwo an der libyschen Küste verrostete Seelenverkäufer. Diejenigen, die in Europa ankommen, werden gezählt, die Zahl jener, die in den Fluten ertrinken, wird allenfalls geschätzt.

Das ist die andere Seite der Krise einer ungezügelten Globalisierung.


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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid