Der Wirt, der zum Märtyrer wurde |
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Innsbruck gedenkt des von Andreas Hofer geführten Tiroler Aufstands vor 200
Jahren Thomas
Schmid, Berliner Zeitung, 19.09.2009 Die Tiroler
sind schön, heiter, ehrlich, brav und von unergründlicher
Geistesbeschränktheit", spottete Heinrich Heine 20 Jahre nach den
Ereignissen von 1809, "von der Politik wissen sie nichts, als dass sie
einen Kaiser haben, der einen weißen Rock und rote Hosen trägt; das hat ihnen
der alte Ohm erzählt, der es selbst in Innsbruck gehört von dem schwarzen
Sepperl, der in Wien gewesen." Ludwig Thoma hingegen war von den Tirolern
tief beeindruckt: "Ich habe 30.000 Bauern defilieren sehen. 30.000
deutsche Bauern, und jeder einzelne war mehr Germane als sämtliche deutsche
Oberlehrer zusammen (...) 30.000 kriegerische Germanenbauern; in Gletschereis
konservierte Goten." Der bayerische Dichter hatte 1909 die Feiern zum
hundertjährigen Jubiläum des von Andreas Hofer geführten Tiroler
Freiheitskampfs miterlebt. An diesem Sonntag, dem 20. September, werden nun 200
Jahre nach dem Aufstand des Bergvolkes 25.000 Mitglieder von Schützenkompanien,
Trachtenvereinen und Musikkapellen aus dem österreichischen Tirol, dem
italienischen Südtirol und auch dem italienischen Trentino, dem alten
Welschtirol, durch Innsbruck marschieren. Die Tiroler Hauptstadt erwartet zum
Spektakel an die 100.000 Besucher. "Geschichte
trifft Zukunft" heißt das Motto der Feierlichkeiten. Man will nicht nur
nach hinten, sondern auch nach vorne schauen. Und im Ferdinandeum, dem Tiroler
Landesmuseum, wird eine Ausstellung gezeigt, die sich durchaus auch kritisch
mit Hofer auseinander setzt. Trotzdem:
Innsbruck schwelgt im Hofer-Jahr. Neben der Hofkirche mit ihrem in Marmor
gemeißelten Grabdenkmal Hofers wird Hofer-Bier verkauft. Auch gibt es
Hofer-T-Shirts, Hofer-Comics und Kinderbücher über das Leben des Helden. Der
bärtige Mann mit Hosenträger und Gewehr wird gnadenlos vermarktet. Von seriösen
Historikern wurde Andreas Hofer längst vom Kopf auf die Füße gestellt. Doch der
Hofer-Mythos wirkt weiter, weil er sich weniger von den Ereignissen selbst als
von der Inszenierung der Erinnerung an sie nährt. Bayern,
Österreich, Frankreich Die Ereignisse:
Nach der "Drei-Kaiser-Schlacht" von Austerlitz musste Österreich im
Frieden von Pressburg (1805) Tirol an das mit Napoleon verbündete Bayern
abtreten. Dessen König Max I. Joseph versuchte, ganz im napoleonischen Sinn,
auch in Tirol eine Verwaltungsreform durchzusetzen und die Kirche der
staatlichen Ordnung zu unterwerfen. Prozessionen und Wallfahrten wurden unter
Strafe gestellt, religiöse Bräuche wie das Wetterläuten verboten, kirchliche
Feiertage abgeschafft. Wie anderswo in Bayern auch, wurden historisch
gewachsene regionale Einheiten zerschlagen. Tirol verschwand von der Landkarte,
es entstanden drei nach den Flüssen Inn, Eisack und Etsch benannte Kreise. Als
dann noch Tiroler zum bayerischen Militärdienst eingezogen wurden, kochte die
Volkswut über. Seit Maximilians "Landlibell" von 1511 waren die
Tiroler nur zur Verteidigung ihrer Region verpflichtet und ansonsten vom
Militärdienst befreit. Der Aufstand
der Tiroler Bauern wurde vor allem von Wirten organisiert. Das Wirtshaus war -
neben der Kirche - sozialer Mittelpunkt im ländlichen Raum. Hier wurden
Geschäfte getätigt, Informationen ausgetauscht, Entscheidungen getroffen. Die
Wirte hatten eine herausragende soziale Stellung auf dem Land, und viele der
Kommandanten der Bauerntruppen waren denn auch Wirte. Auch Andreas Hofer. Er
war Besitzer des Sandhofs bei St. Leonhard im Passeiertal im heutigen Südtirol.
Der Sandwirt hatte auch als Pferde- und Viehhändler ein weites Kontaktnetz.
Während die ländliche Bevölkerung kaisertreu war und für den Wiederanschluss
Tirols an Österreich kämpfte, hatten sich die Bewohner der Städte, die in Tirol
allerdings höchstens ein Zehntel der Gesamtbevölkerung ausmachten, mit der
Herrschaft der Bayern und ihren Reformen weitgehend arrangiert. Als die
bewaffneten Bauernscharen dann in Innsbruck einfielen, wurden sie recht
reserviert aufgenommen, zumal es schon bald zu zahlreichen Plünderungen kam.
Opfer waren vor allem Juden, denen man vorwarf, sich bei der öffentlichen
Versteigerung das Kirchensilber gekauft zu haben. Etwa zehn
Wochen regierte der bei den Bauern überaus populäre "Oberkommandant"
Andreas Hofer in der Innsbrucker Hofburg. Er hatte so gut wie keine Bildung
genossen, von Staatsgeschäften keine Ahnung und verstand sich nur als
"Treuhänder des Kaisers", bis dieser wieder eine ordentliche
Verwaltung einsetzen würde. Doch Franz I. ließ ihm zwar aus Wien eine
Ehrenkette zukommen und auch Geld, trat aber schon Mitte Oktober 1809 im Frieden
von Schönbrunn Tirol erneut an Bayern ab, nachdem Napoleons Truppen bereits
Welschtirol (heute Trentino) besetzt hatten. Während seiner kurzen Herrschaft
steuerte Hofer einen strikt konservativen Kurs. Er ließ liberal gesinnte
Universitätsprofessoren verhaften und beschwerte sich in einem Sittenmandat,
"dass die Frauenzimmer von allerhand Gattungen ihre Brust und Armfleisch
zu wenig, oder mit durchsichtigen Hudern bedecken, und also zu sündhaften
Reizungen Anlass geben". Hofer war - wie viele seiner Zeitgenossen im
bäuerlichen Milieu - ein katholischer Fundamentalist mit antisemitischen
Anwandlungen. Nach der
Rückeroberung Tirols durch Bayern und Napoleon wurde Andreas Hofer, der sich
auf eine Alm geflüchtet hatte, schon bald aber verraten wurde, nach Mantua
gebracht und dort - auf expliziten Befehl Napoleons - im Februar 1810
füsiliert. Aus der Erschießung des Bauernführers wurde schon früh eine Legende
gestrickt: Der tapfere Hofer habe den Soldaten des französischen
Hinrichtungskommandos selbst den Befehl zum Feuer erteilt und sich danach noch
darüber mokiert, wie schlecht sie schießen würden. So steht es auch im 1831 von
Julius Mosen verfassten Gedicht "Zu Mantua in Banden", das wenige
Jahre danach vertont und 1948 schließlich offiziell zur Tiroler Landeshymne
erklärt wurde. 1823 wurden
Hofers Gebeine in Mantua heimlich ausgegraben und nach Innsbruck gebracht. Dann
wurde es ziemlich still um den Sandwirt. Allenfalls einige Napoleon-feindliche,
vornehmlich deutsche und englische Literaten verklärten die Freiheitsliebe des
Tirolers. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Hofer zum österreichischen
Nationalhelden, der für unbedingte Kaisertreue stand. Mit der von Ludwig Thoma
erlebten Jahrhundertfeier fand der Hofer-Kult seinen vorläufigen Höhepunkt. Bald aber
sollte sich zeigen, dass der Sandwirt aus Südtirol vielseitig verwendbar war.
In seiner berühmten Innsbrucker Rede, in der der österreichische Bundeskanzler
Kurt Schuschnigg, ein Tiroler, drei Tage vor dem "Anschluss" eine
Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs ankündigte, verglich er das
Schicksal Hofers mit jenem seines 1934 von Nazis ermordeten Vorgängers
Engelbert Dollfuss. In der Propaganda des Dritten Reichs hingegen ging mit der
"Heimholung Österreichs ins Reich aller Deutschen" schließlich
"die größte Sehnsucht Andreas Hofers" in Erfüllung. Die
Nationalsozialisten stilisierten den "Sandwirt" zum Grenzwächter im
Süden, auch wenn sie dessen Heimat, das deutschsprachige Südtirol, dann
Mussolini überließen. Ein Abkommen
zwischen dem Führer und dem Duce stellte die Südtiroler allerdings 1939 vor die
Wahl, ins Deutsche Reich auszuwandern oder sich in einem italianisierten
Südtirol zu assimilieren. 85 Prozent optierten für die Auswanderung, auch wenn
dann nur ein Drittel von ihnen tatsächlich aussiedelte. Damals gründete sich
der Andreas-Hofer-Bund, eine Gruppe von Südtirolern, die zwar bleiben, aber
ihre Sprache und Kultur nicht aufgeben wollten. Die Widerstandsorganisation
wurde nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Südtirol faktisch
zerschlagen. Aus ihren Resten ging zum Teil die Südtiroler Volkspartei, heute
stärkste Kraft der Region, hervor, die nach dem Krieg den Anschluss an
Österreich forderte. Vergeblich. 1946 schlossen Wien und Rom ein Abkommen, das
Südtirol Autonomie versprach, es aber tatsächlich mit dem Trentino zu einer
Doppelregion vereinte, in der die Italiener in der Mehrheit waren. Auch deshalb
sorgte Hofer noch einmal für Schlagzeilen. In den 1960er-Jahren forderte ein
"Befreiungsausschuss Südtirol" die Wiederangliederung der
deutschsprachigen Region an Österreich. 1961 sprengte die Untergrundgruppe 37
Strommasten, in den Folgejahren starben 14 Menschen - fast alle Polizisten,
Carabinieri oder Soldaten - bei terroristischen Anschlägen. Bis heute ist
ungeklärt, ob diese alle vom "Befreiungsausschuss" verübt
wurden.Vermutlich waren italienische Geheimdienstkreise in den Terror
verstrickt. Gegner einer Vereinigung von Tirol sprengten ihrerseits das
Andreas-Hofer-Denkmal in Innsbruck und auch das Denkmal in Mantua, wo der
Tiroler Freiheitsheld hingerichtet worden war. Erst 1992 wurde der Streit um
Südtirol zwischen Österreich und Italien vor der UNO beigelegt. Als der
FPÖ-Politiker Martin Graf jüngst forderte, die Südtiroler abstimmen zu lassen,
ob sie zurück nach Österreich oder bei Italien bleiben wollten, war es nur noch
eine billige Provokation. Auch der Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder
winkte ab. Südtirol ist heute die reichste Region Italiens. Die
Wiedervereinigung mit dem Norden will nur noch eine kleine Minderheit. Für die
Feierlichkeiten 175 Jahre nach dem Tiroler Aufstand finanzierten Tiroler
Industrielle eine riesige gusseiserne Dornenkrone, die an das Martyrium Andreas
Hofers erinnern und die Zerrissenheit von Tirol, seine Aufspaltung auf zwei
Staaten, symbolisieren sollte und die damals durch die Innsbrucker Gassen
getragen wurde. 1997 sprachen sich sowohl der Innsbrucker Bürgermeister wie
auch der Tiroler Landeshauptmann dafür aus, sie für immer vor der Hofburg
aufzustellen. Doch es regte sich Protest. Heute liegt die Dornenkrone auf dem
Privatgrundstück von Arthur Thöni in Telfs, zwanzig Kilometer westlich von
Innsbruck. Der Industrielle weigert sich standhaft, sie für den Umzug an diesem
Wochenende zur Zweihundertjahrfeier des von Andreas Hofer geführten Tiroler
Freiheitskampfs herauszurücken. © Berliner Zeitung
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