Du sollst dich nicht erwischen lassen |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 22.01.2010 In Athen
schimpfen alle über Korruption und Klientelwirtschaft. Die neue
Regierung verspricht Änderungen und riskiert damit einen heißen Frühling ATHEN.
Es ist schwierig, jemanden zu finden, der reden will. Alle sind
misstrauisch. "Nennen Sie mich Kostas", sagt schließlich Kostas, der
anders heißt, und bittet ins Hinterzimmer seines Geschäfts im Zentrum
von Athen, wo er sich auf ein durchgesessenes Sofa fallen lässt. Das
Büro ist vollgestopft mit leeren Kartons. Auf dem Tisch stapeln sich
Lieferscheine, leere Bestellformulare, auch einige Rechnungen. Über dem
alten Computer hängt eine Ikone: Die Muttergottes vergießt eine Träne.
Sie scheint mitzuleiden. "Es geht uns schlecht", klagt Kostas, "und es
wird noch schlimmer werden, man will uns an den Kragen. Ausgerechnet
jetzt, wo das Geschäft schlechter läuft als je." Er sagt es in recht
gutem Deutsch mit schwäbischem Akzent. Zehn Jahre hat der 59-jährige
Kostas bei Daimler gearbeitet. Vor 25 Jahren ist er in seine Heimat
zurückkehrt, um das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Während er im
Hinterzimmer jammert, wartet vorne im Laden seine Frau zwischen Töpfen,
Pfannen, Gläsern, Vasen und Staubsaugern auf Kunden. Bakschisch für den Arzt In
Griechenland ist der Einzelhandel innerhalb eines Jahres um fünfzehn
Prozent eingebrochen. Kostas bekommt es zu spüren. Und just ab 1.
Januar soll er nun bei jedem Verkauf auch nur eines Kaffeelöffels eine
Quittung ausstellen. Das jedenfalls verlangt die Regierung, die der in
Griechenland endemischen Steuerhinterziehung zu Leibe rücken will. Zum
Glück begnügen sich bis jetzt die meisten Kunden mit dem Zettel, der
aus der alten Kasse rattert. Aber wie lange noch? Bislang hat Kostas
einmal im Jahr dem Steuereintreiber ein gewisses Sümmchen - wie viel,
will er nicht verraten - gegeben und dafür Ruhe gehabt. Ein anständiger
Deal, bei dem immer beide Seiten gewonnen haben, findet er. Ein
Deal auf Kosten des Staates! "Aber was tut der Staat für uns?",
protestiert der Ladenbesitzer, "als ich letztes Jahr meinen Sohn wegen
einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus brachte, musste ich tausend
Euro bezahlen, damit sich ein Arzt bereitfand, ihn zu operieren." In
Griechenland sind die meisten Krankenhäuser staatlich. Die Krankenkasse
übernimmt die Behandlung. Doch wer kein Bakschisch zahlt, wartet eben.
"Aber ich konnte doch nicht warten", sagt Kostas, "der Junge stand
gekrümmt vor mir und hielt sich den Bauch." Die Zahlen kann in
Griechenland inzwischen jeder herunterbeten: Der Staat hatte 2009 ein
Haushaltsdefizit in Höhe von dreißig Milliarden Euro, was 12,7 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts entspricht,während der EU-Vertrag von
Maastricht nur drei Prozent zulässt. Die akkumulierte Staatsschuld
beträgt knapp dreihundert Milliarden Euro und ist damit sogar größer
als das Bruttoinlandsprodukt. Die Lage ist dramatisch. "Das wichtigste,
was die neue Regierung nun machen muss", meint Michalis Psalidopoulos,
"ist, dafür zu sorgen, dass alle Steuern zahlen." In Griechenland, so
sagt der Wissenschaftler, der an der Universität von Athen einen
Lehrstuhl für Wirtschafts- und Dogmengeschichte innehat, würden die
Lohnabhängigen für sechzig Prozent aller Steuern aufkommen, die
Freiberufler aber nur für zehn Prozent. "Selbst im Athener Nobelviertel
Kolonaki mit all den Sportwagen und Jeeps vor den Häusern, versteuern
zahlreiche Ärzte ein Einkommen, das unterhalb der Armutsgrenze liegt."
Dem Fiskus entgehen durch Steuerhinterziehung jährlich Einnahmen in
Höhe von dreißig bis vierzig Milliarden Euro. In Deutschland, das etwa
siebenmal mehr Einwohner als Griechenland hat, sind es deutlich weniger. Hätten
alle Bürger brav ihren Obolus entrichtet, hätte der Staat kein
Haushaltsdefizit - und jetzt nicht die EU-Funktionäre am Hals. In
Brüssel schäumt man, weil das griechische Desaster die Stabilität des
Euro gefährdet. Die katastrophale Lage hat vor allem die im vergangenen
Oktober abgewählte konservative Regierung der Nea Dimokratia unter
Kostas Karamanlis zu verantworten, die für 2009 noch von einem
Haushaltsdefizit in Höhe von sechs Prozent ausgegangen war. Der
Wahlsieger Jorgos Papandreou von der sozialdemokratischen Pasok ließ
nachrechnen und meldete gut das Doppelte nach Brüssel. Doch unschuldig
ist auch die sozialistische Pasok nicht. Immerhin war sie mit
Ministerpräsident Konstantinos Simitis an der Regierung, als
Griechenland 2001 den Euro einführte. Den Beitritt zur Eurozone hatten
sich die Griechen mit kreativer Buchführung und geschönten Statistiken
erschlichen. "Korruption und Klientelwirtschaft wucherten auch unter
dem Pasok-Regime", gibt Professor Psalidopoulos zu, "aber unter
Karamanlis häuften sich die großen Skandale." Auch im orthodoxen
Griechenland gelten die zehn Gebote Gottes. Doch hier gibt es noch ein
elftes, und es ist das wichtigste: Du sollst dich nicht erwischen
lassen. Und gegen dieses Gebot hat nicht nur Michael Christoforakos,
der Chef von Siemens Hellas, verstoßen, der sich nach Erkenntnis der
Ermittler mit Schmiergeldern Großaufträge von Armee und Regierung
sicherte, sich dann - als Doppelstaatsbürger - nach Deutschland
absetzte, im vergangenen Juni in Oberbayern festgenommen und im
November schließlich freigelassen wurde. Auch Karamanlis' Kabinett
wurde von Skandalen erschüttert. Dass sich der Minister für Umwelt und
öffentliche Bauten ohne Baugenehmigung eine Villa just auf einem aus
Gründen des Umweltschutzes für Bebauung gesperrten Gebiet errichten
ließ, mochte da noch zu den lässlichen Sünden zählen. Wesentlich
brisanter war dann ein frivoler Deal zwischen Staat und Kirche, der
zwei Minister den Job kostete. Efraim, der Abt von Vatopedi, dem
reichsten der zwanzig Klöster der autonomen Mönchsrepublik auf dem
Heiligen Berg Athos, behauptete, dass seinem Kloster aufgrund von
Verfügungen eines byzantinischen Kaisers ein sechs Quadratkilometer
großer See in Nordgriechenland samt Ufer gehöre. Der Staat anerkannte
die dubiosen Ansprüche und überließ dem Kloster im Tausch gegen den See
zweihundertsechzig Grundstücke, zum Teil Filetstücke in touristisch
erschlossenem Gebiet, die die Kirche umgehend versilberte. Am
skandalösen Geschäft, bei dem der Staat vermutlich um hundert Millionen
Euro betrogen wurde, verdienten allerdings nicht nur die Schwarzröcke,
sondern auch die Familie des Handelsmarineministers Giorgos
Voulgarakis. Seine Frau, die als Notarin einige Verkäufe beglaubigte,
sahnte kräftig ab. Und sein Schwager und sein Schwiegervater vertraten
das Kloster als Anwälte. Mit Voulgarakis musste auch Presseminister
Theodoros Roussopoulos den Hut nehmen, ein Freund des Abtes, der den
lukrativen Deal eingefädelt hatte. Die Kirche aber, zweitgrößte
Immobilienbesitzerin des Landes, zahlt weiterhin keine Steuern und
lässt sich ihre Priester vom Staat bezahlen. Vier
parlamentarische Untersuchungsausschüsse sollen nun die vier
schlimmsten Skandale der jüngsten Zeit aufarbeiten. Transparenz
schreibt die neue sozialdemokratische Regierung unter Papandreou ganz
groß. Die Parole heißt "open government" - "offene Regierung". Um mit
der unseligen Vergangenheit von Mauschelei und Vetternwirtschaft zu
brechen, hat die Regierung eine Internetseite eingerichtet, auf der die
Gesetzesvorhaben dem Volk vorgestellt werden, bevor sie ins Parlament
kommen. Alle können ihre Meinung dazu mitteilen. Jeder
Regierungsbeschluss, der Geld kostet, wird im Internet begründet. Und
jeder neue Beamte - ob Referent oder Minister - wird mit seinem
Lebenslauf, seinen Qualifikationen und Erfahrungen, vorgestellt. "Die
offene Regierung ist ein Fortschritt in diesem Land der
Geheimniskrämerei", meint der Bauingenieur Dimitris, "immerhin fällt
jetzt auf, wenn ein Theologe im Wirtschaftsministerium als Fachkraft
für Bankenaufsicht eingestellt wird. Bislang wurde man ja von einem
Onkel angeheuert, dann wurde der Vertrag verlängert, und irgendwann war
man unkündbar. Vom staatlichen Gehalt kann man nicht leben, also
schwänzt man den ganzen Tag oder nutzt den Arbeitsplatz für schwarze
Zweitarbeit." Dimitris hat für das Treffen das Café des im
neoklassizistischen Stil gebauten Luxushotels Grande Bretagne
vorgeschlagen, wo Könige und Präsidenten absteigen, die Suite mehr als
tausend Euro kostet und der Capuccino immerhin 7,50 Euro. Nur wenige
Meter vom Hoteleingang entfernt bieten afrikanische Flüchtlinge ihre
Lederwaren an, die sie auf weißen Bettlaken ausbreiten. Irgendwo
zwischen diesen beiden Welten oszillieren Menschen wie Dimitris. Die
Umsätze in der Baubranche, neben Tourismus und Handelsschifffahrt der
wichtigste Wirtschaftsfaktor in Griechenland, sind innerhalb eines
Jahres um achtzehn Prozent gefallen. Wer sich gestern noch auf der
sicheren Seite wähnte, dem kann schon morgen der Boden unter den Füßen
wegrutschen. "Auf jeden Fall herrscht nun unter Papandreou ein
anderes Klima als noch unter Karamanlis", sagt Dimitris, "aber der Mann
steht vor einer Herkules-Aufgabe." Er muss unter dem Druck der EU, die
jede weitere Hilfe an Griechenland konditionieren wird, die
Staatsfinanzen in Ordnung bringen, ohne Massenstreiks zu provozieren,
die die kränkelnden Wirtschaft in den Abgrund stürzen. "Früher hat es
sich die Regierung einfach gemacht", meint der Bauingenieur, "um die
Tabakbauern zu befrieden, kaufte sie deren unverkäuflichen Tabak auf
und wurde von der EU dafür bestraft. Sie subventionierte die Olympus
Airways und musste auch dafür Brüssel Gelder erstatten. Und sie kaufte
mit Milliarden von geliehenem Geld Waffen, um sich gegen den
Nato-Partner Türkei zu wappnen. Damit muss nun Schluss sein." Papandreou
hat harte Sparmaßnahmen angekündigt, um die enorme Staatsverschuldung
bis 2012 schrittweise unter die Dreiprozentmarke von Maastricht zu
bringen - und nun stehen die Zeichen auf Sturm. Seit einer Woche schon
blockieren Landwirte an über zwanzig Orten die wichtigsten
Verkehrsadern des Landes wie auch Grenzübergänge nach Bulgarien und
Mazedonien, um von der Regierung bereits abgelehnte Agrarsubventionen
zu erzwingen. Der mächtige Beamtenbund hat einen Streik für den 10.
Februar angemeldet. Für eine wirkliche Steuerreform sei er bereit, vier
bis fünf Prozent seines Salärs zu opfern, ließ sein Präsident
verlauten, aber nun wolle der Staat sechs bis sieben Prozent. Die
angekündigte Erhöhung der Steuern auf Alkohol, Tabak und innerfamiliäre
Eigentumsüberschreibung hat die Regierung - auch auf Druck der eigenen
Parlamentsfraktion - inzwischen wieder zurückgenommen. Der Plan
Kallikrates, benannt nach dem Bauherrn, der auf der Akropolis den
Tempel der Siegesgöttin errichtete, stößt auf den geballten Widerstand
der Opposition. Er sieht die Zusammenfassung der sechsundsiebzig
bestehenden Präfekturen zu dreizehn Regionen vor, und aus 1 034
Gemeinden sollen 370 werden. Da sind viele traditionelle Pfründen
bedroht. Eine Quittung für die Kunden Griechenland steht
ein heißer Frühling bevor. Die Regierung fürchtet nicht nur die
Blockaden der Gewerkschaft, sondern auch die Barrikaden einer
revoltierenden Jugend. Vor einem Jahr kam es in Athen und in
zahlreichen weiteren Städten nach der Erschießung eines Jugendlichen
durch die Polizei zu tagelangen Ausschreitungen. Es war der Protest
einer frustrierten, um ihre Zukunft betrogenen Jugend, deren Lage um
keinen Deut besser geworden ist. Bei den Unruhen ging damals auch das Schaufenster von Kostas zu Bruch. Er streitet noch immer mit der Versicherung, die nicht zahlen will. Er wartet noch immer auf einen neuen Gerichtstermin. Beim ersten war der Anwalt der Versicherung einfach nicht erschienen. Also vertagten die Herren Richter die Verhandlung. Seither hat er von der Justiz nichts mehr gehört. "Die sitzen doch nur ihre Ärsche breit", schimpft er auf die Beamten im aufgeblähten Staatsapparat, "und spätestens mit sechzig gehen sie in Pension. Alles auf unsere Kosten." Ja, wenn auch die Reichen zur Kasse gebeten würden, ja, dann würde er auch allen Kunden eine Quittung ausstellen. © Berliner Zeitung |