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Alles zum größeren Ruhme Gottes PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 30.01.2010

Die Jesuitenschulen sollen Orte sein, an denen "die Schüler und Schülerinnen ihre Würde als Mensch erfahren". So lautet der erste von vier Grundsätzen jesuitischer Pädagogik - nachzulesen auf der Homepage des Berliner Canisius-Kollegs. Just an dieser Jesuitenschule haben mindestens zwei Patres (Dunkelziffer unbekannt) die Würde von mindestens 22 Schülern (Dunkelziffer wohl höher) jahrelang eklatant verletzt. Landläufig bezeichnet man solche Täter als Kinderschänder. Ein irreführender Ausdruck - die Schande liegt schließlich beim Täter -, nur insofern zutreffend, als die seelisch verletzten Opfer aus Scham jahrzehntelang schweigen, weil sie das Geschehene tatsächlich als Schande empfinden.

Das Strafgesetzbuch spricht nüchterner von sexuellem Missbrauch schutzbefohlener Kinder und Jugendlicher und ahndet dies mit bis zu zehn Jahren Gefängnis. Dass der Rektor des Canisius-Kollegs den Skandal selbst an die Öffentlichkeit brachte, ist ihm hoch anzurechnen. Trotzdem stellt sich die Frage, weshalb er damit fünf Jahre zugewartet hat, wo er doch schon 2004 von einem ersten Fall erfahren hatte. Aus Respekt vor dem Wunsch der Opfer, habe er keine Anzeige erstattet, behauptet der Rektor. Mag sein. Immerhin benachrichtigte er seine Ordensleitung in München. Vielleicht haben die beiden sündigen Patres auf deren Anweisung hin den Dienst quittiert. Wurde hier auf dem internen Dienstweg geregelt, was vor die öffentliche Justiz gehört?

Der Rektor spricht von "Scham und Erschütterung ", der Dompropst, im Erzbistum Berlin zuständig für Fälle von sexuellem Missbrauch, empfindet "Scham und Entsetzen".

Gewiss ehrliche Reaktionen. Und beim nächsten Fall wird man wieder entsetzt und erschüttert sein. Es sind immer Einzelfälle. Natürlich. Auch die mehr als 10 000 Kinder, die in den letzten 50 Jahren in den USA von über 4 000 katholischen Priestern missbraucht wurden, sind allesamt Einzelfälle. Auch in Irland, wo am vergangenen Heiligen Abend der dritte und der vierte Bischof innerhalb nur eines Monats zurücktraten, nachdem bekannt geworden war, dass sie den Missbrauch von Tausenden Kindern durch Priester vertuscht hatten, ging es immer um Einzelfälle.

In der Tat sind ja die Jungen, seltener auch Mädchen, wohl immer einzeln bei den Priestern erschienen, denen sie vielleicht ihre Seelennöte enthüllten, denen sie jedenfalls vertrauten. Geistliche, die vorgeben, sich um die Seelen zu sorgen, verstehen den geschützten Raum des Pfarrhauses, des Schulbüros oder des Beichtstuhls als Darkroom. Es ist widerlich und abstoßend. Gerade in der Pubertät mit ihren Gefühlsverwirrungen können sich Jugendliche, deren sexuelle Orientierung oft noch nicht verfestigt ist, gegen Übergriffe gleichgeschlechtlicher Autoritätspersonen kaum wehren.

Es sind Tausende von Einzelfällen, die sich zu einem Bild zusammenfügen. Nicht zufällig sorgt vor allem immer wieder die katholische Kirche für Skandale. Eine Erklärung dafür liegt auf der Hand: Pastoren, Rabbiner und Imame, die gegen Pädophilie auch nicht gefeit sind, haben Frauen oder dürfen wenigstens Frauen haben. Katholische Priester jedoch haben sich zum Zölibat verpflichtet. Viele von ihnen mögen es schaffen, ihre sexuellen Bedürfnisse erfolgreich zu sublimieren. Viele eben auch nicht.

Opferverbände schätzen, dass etwa die Hälfte der katholischen Priester Deutschlands sexuelle Beziehungen haben und dass ein Drittel Kinder gezeugt hat. Mehr als die Frauen, die ihre Liebe zu Geistlichen vor Freunden und Verwandten verstecken müssen und ein Doppelleben führen, sind die Kinder Opfer solcher Bigotterie. Oft haben sie Entwicklungsstörungen oder werden depressiv.

All dies ist sattsam bekannt, auch dem deutschen Papst, der mental in einer vormodernen Welt befangen ist und eine 200 Seiten dicke Expertise über Präservative erstellen ließ, um danach - mehr als fahrlässig - zu verkünden, Kondome verschlimmerten das Aids-Problem. Er hält am Zölibat und am Verbot der Homosexualität fest. Die verkrümmten Seelen von Priestern und die Traumata missbrauchter Jugendlicher sind da ein nachrangiges Problem.

So bleibt nur die Hoffnung, dass der von Jahr zu Jahr krassere Priestermangel die päpstliche Dogmatik aufweicht. Im vergangenen Jahr sollen im deutschsprachigen Raum nur noch zehn Männer in den Jesuitenorden eingetreten sein. Dessen Motto heißt: "Omnia ad maiorem Dei gloriam" - "Alles zum größeren Ruhme Gottes". Wirklich alles? Das sehen die Schüler des Berliner Canisius-Kollegs inzwischen gewiss anders.

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid