Die Angst der Roma vor den Schwarz-Jacken |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 13.04.2010
REGIERUNGSWECHSEL IN UNGARN - Die Konservativen lösen nach acht
Jahren die Sozialisten in Budapest ab. Dritte Kraft wird die
rechtsextreme Jobbik-Partei, die mit ihrer paramilitärischen Garde die
Minderheiten bekämpft.
BUDAPEST. Schmucke Einfamilienhäuser reihen sich aneinander.
Blühende Begonien in gepflegten Gärten, durch Zäune klar abgetrennte
Grundstücke, bewacht von Hunden. In Kistarcsa, einem Dorf zwanzig
Kilometer außerhalb von Budapest, ist alles sauber, aufgeräumt,
ordentlich. Fast alles. Über eine nicht asphaltierte Straße, die nach
jedem Regenguss zur Schlammpiste wird, erreicht man die Siedlung, in der
400 Roma wohnen. In Ungarn nennt man sie gewöhnlich "Ciganyok",
Zigeuner. Solange der Tonfall stimmt, ist dies nicht unbedingt
abschätzig gemeint. Es ist eine andere Welt. Vor den Häusern,
viele seit Jahren im Rohbau, zum Teil ohne Fenster und Türen und dennoch
bewohnt, liegen verrostete Skelette von Möbeln, aufgeschlitzte
Matratzen, dazwischen spielen Kinder mit verdreckten Gesichtern in
schmutzigen Trainingsanzügen. Im letzten Haus der Straße wohnt Eva
Gaspar. Die vier Zimmer teilt sich die 47-jährige Frau mit ihren Eltern,
ihrem Mann und ihren acht Kindern. Zwölf Personen. Ihr einziges
Einkommen sind Sozialhilfe und Kindergeld, 78 000 Forint im Monat, das
sind umgerechnet 290 Euro, davon gehen 52 Euro weg für Wasser und Strom,
elf für das Satellitenfernsehen. Neue Garde marschiert schon
wieder Seit Monaten schon geht in Kistarcsa die Angst um. Im
vergangenen Jahr sind vier Männer in schwarz-weißen Uniformen
vorgefahren und haben Gaspars Nachbarn mit einem Molotow-Cocktail
angegriffen. Es waren Mitglieder der Ungarischen Garde, einer
paramilitärischen Formation der rechtsextremen Jobbik-Partei, die bei
den Parlamentswahlen fast 17 Prozent der Stimmen einheimste. Gegründet
wurde die in martialischer Kluft auftretende Truppe im Jahr 2007 -
getarnt als "Verein für kulturelles Erbe und Heimatpflege". Die ersten
55 Gardisten wurden vor Tausenden Anhängern direkt vor dem Palais des
Staatspräsidenten auf dem Burgberg von Buda öffentlich vereidigt. Heute
dürfte die Ungarische Garde 3 000 Mann stark sein. Zwar wurde sie im
vergangenen Jahr verboten, weil sie - so das Gerichtsurteil - Freiheit,
Kultur und Lebensweise von Minderheiten beeinträchtige. Gemeint waren
die Roma. Doch nun marschiert sie unbehelligt als "Neue Ungarische
Garde" in leicht abgeänderter Uniform. In der schwarzen Weste des
Gardisten werde er ins Parlament einziehen, verkündete letzte Woche der
erst 31 Jahre alte Jobbik-Chef Gabor Vona vor der Petöfi-Statue, wo die
Abschlusskundgebung seiner Partei stattfand. Vor dem Denkmal des
Dichters und Freiheitshelden von 1848 sangen Vonas Anhänger - viele
unter ihnen mit langen Haaren, einige mit Dreadlocks - andächtig die
Petöfi-Hymne: "Wollt ihr frei sein oder Knechte? Wählt! Es geht um Ehr'
und Rechte!" Ein glatzköpfiger Barde stimmte ein trauriges Lied an. Es
handelte vom Verlust heimatlicher, blutdurchtränkter Erde. Mit dem
Vertrag von Trianon hatte Ungarn 1920 zwei Drittel seiner Fläche
eingebüßt. Für viele Ungarn bis heute ein Trauma. "Ungar ist, wen
Trianon schmerzt", schrieb der 1983 verstorbene Dichter Gyula Illyés.
Auf dem Platz liegen Karten von Groß-Ungarn aus, das Teile Rumäniens,
der Ukraine, der Slowakei und Serbiens einschließt. Mit ihren
rot-weißen mittelalterlichen Arpad-Flaggen, mit ihrem Kult um den
Heiligen Stefan, den Gründer des ungarischen Königreichs, mit ihrer
konfusen Forderung, die "Doktrin der Heiligen Krone" in die Verfassung
aufzunehmen, wirkt Jobbik wie ein Verein von vorgestern. Doch die
antisemitische und rassistische Partei, die vor allem auf dem Land, aber
auch unter Studenten in letzter Zeit rasanten Zulauf bekommen hat und
vorgestern von 842 000 Ungarn gewählt wurde, ist nicht Mummenschanz. Sie
könnte unter der neuen Regierung unter dem nationalkonservativen und
rechtspopulistischen Viktor Orban noch anwachsen, wenn sich nicht - und
wenig spricht dafür - die wirtschaftliche Lage der Ungarn entscheidend
verbessert. "Budapest, erwache!" "Jobbik spricht mit
doppelter Zunge", warnt Peter Feldmayer in seinem nussholzgetäfelten
Büro hinter der Synagoge, "mit einer gezähmten für die Öffentlichkeit
und mit einer ungezügelten für die eigene Klientel." Der Präsident der
Jüdischen Gemeinde, dessen Mutter Auschwitz und dessen Vater
Theresienstadt überlebt hat, erzählt von einer jüngst erschienene
Ausgabe von Barikad, der Wochenzeitung von Jobbik, die noch immer wenige
Häuser weiter im Schaufenster ausgestellt ist. Das Titelbild zeigt die
Statue des Heiligen Gellert, die hoch über der Donau auf einem
Dolomitfelsen steht. Doch auf dem Foto hält der Schutzpatron Budapests
nicht ein Kreuz in der Hand, sondern eine Menora, einen siebenarmigen
jüdischen Leuchter. Darunter in großen Lettern: "Budapest, erwache! Ist
es das, was ihr wollt?" Die ungezügelte Sprache ist im "Radio Heilige
Krone" zu hören und auf verschiedenen Websites zu lesen, die mit der
Internetseite von Jobbik verlinkt sind. Das Merkzeichen von
Jobbiks Wahlkampagne aber war das Wort "Zigeunerkriminalität". "Nicht
alle Zigeuner sind kriminell", sagt der junge Parteichef mit gezähmter
Zunge, als ob er ein Geheimnis verraten würde, "und ihre Kriminalität
ist nicht genetisch, sondern soziokulturell begründet." Die ungezügelte
Zunge führt sein Vize Csanad Szegedi. Die Sozialhilfe, so schimpfte er,
sei nichts anderes als "staatlich subventionierte Zigeunerzucht." Die
Jobbik betont unablässig, dass sie mit der "Zigeunerkriminalität" ein
tabuisiertes Problem benenne, das alle beschweigen würden. Und sie
bietet auch eine Lösung: Arbeit. Die Zigeuner sollen arbeiten! Von
Kölnisch Wasser und Alkohol "Unter Kadar haben wir gut gelebt",
sagt die Zigeunerin Ibolya Olah, die gerade Schnecken einsammelt, "da
hatte jeder von uns Arbeit." Janos Kadar wurde nach der Niederschlagung
des ungarischen Aufstands von 1956 durch Sowjettruppen Generalsekretär
der alleinherrschenden Partei und damit mächtigster Mann im Staat. Es
war die Zeit des sogenannten Gulaschkommunismus, als Ungarn die
"lustigste Baracke" im Lager des Ostblocks war. Olah, 51 Jahre alt und
mit nur noch wenigen Zähnen im Mund, lebt in Kerepes, eine halbe Stunde
außerhalb von Budapest. Sie lebt nicht im Dorfkern, in dem die Kirche,
die Gasthäuser und die Schule stehen, sondern in der Roma-Siedlung.
Immer wieder würden Trupps der "Ungarischen Garde" auf der Straße
patrouillieren, die die herausgeputzten Häuser der "weißen" Ungarn von
den schäbigen Behausungen der Roma trennt, berichtet Olah. "Im
vergangenen Jahr gab es eine böse Schlägerei an der Schule. "Nicht die
Polizei, sondern die Ungarische Garde wurde gerufen." "Früher", so
erinnert sich Olah, "war Ostern ein wunderschönes Fest. Die Jungen und
Männer suchten die Mädchen und Frauen auf, überschütteten sie mit
Kölnisch Wasser und erhielten im Gegenzug Schnaps. Am Schluss rochen die
schönsten Frauen, die am meisten Besuch erhalten hatten, ziemlich
penetrant, und die Männer stanken nach Alkohol. Es war wunderbar.
Natürlich gingen unsere Männer auch zu den Ungarinnen, und manchmal
kamen sie auch zu uns." Es hört sich an, wie ein Märchen aus
vergangenen Zeiten. |