Kleiner Gefallen - großer Schaden |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 10.05.2010
Weil in Griechenland fast jeder jeden schmiert, entgehen dem Staat Steuern in MilliardenhöheATHEN. Vor zehn Jahren war alles wunderbar. Das Geschäft boomte. "Einem Richter baute ich ein Haus - es war die Mitgift für seine Tochter - für 600 000 Euro", erzählt Petros Villegas, der sich mit gutem Grund anders nennt, als er heißt, "und das Ferienhaus für den Kapitän der Marine war noch etwas teurer." Beide Häuser stehen in Kifissia, dem nobelsten Vorort von Athen, wo Platanen und Pinien Schatten spenden und die neureiche Schickeria in Edelboutiquen einkauft. Der Richter und der Kapitän verdienten beide monatlich rund 2 000 Euro. Für den Bauingenieur besteht kein Zweifel, dass er Schwarzgelder verbaut hat. Über zwei Millionen Häuser stehen in Griechenland, die illegal errichtet wurden. "Heute ist das schwieriger geworden", sagt Villegas, "und deshalb flüchtet das Geld ins Ausland, vor allem nach Zypern." Korrupte Kontrolleure Die internationale
Finanzkrise hat den Bauingenieur arbeitslos gemacht. "Im Jahr 2009 hatte
ich keinen einzigen Auftrag", berichtet er, "aber als der Steuerbeamte
kam, habe ich jedes Mal tausend Euro hingeblättert, im Februar, im
September und im Dezember." Wer nichts verdient, hat zwar nichts zu
verstecken. Aber hätte Villegas das Fakelaki nicht gegeben, dann hätte
der Mann vom Finanzamt in den alten Büchern genug Ungereimtheiten
entdeckt oder notfalls erfunden, um eine höhere Summe abzuzocken. So war
beiden gedient. Fakelaki heißt übersetzt: kleines Kuvert. "Es wird es
weiterhin geben", sagt der Bauingenieur resigniert, "die EU-Kommission
wird nur auf die Zahlen schauen, Bilanzen kontrollieren,
Verschuldungsraten berechnen. Ob die griechische Regierung die
notwendigen Strukturreformen anpackt, ist den Europäern doch piepegal." Giannis
Grivas sieht das entschieden anders. Der Präsident der Gewerkschaft der
15 000 Steuereintreiber hat eine dröhnende Stimme und schreit jeden
Satz in einer Lautstärke, die keinen Widerspruch duldet: "Vierzig
Prozent, von dem, was dem Staat zusteht, sind ihm bisher verweigert
worden! Das macht über 20 Milliarden Euro aus! Das wird nun nicht mehr
akzeptiert!" Seit Jahresbeginn schon müssen Einzelhändler für
jeden Verkauf, und sei es auch nur den eines Brötchens, eine Quittung
ausstellen. Ab 1. Juli werden auch die Zeitungsverkäufer erfasst. Die
Griechen wurden öffentlich ermahnt, die Zettelchen anzufordern. Um ihnen
den ungewohnten Schritt zu erleichtern, stellte man ihnen bei
Einreichung von Quittungen Steuerabzüge in Aussicht. Zwar weiß noch
niemand, was steuerabzugsfähig werden soll, aber schon träumen Spaßvögel
davon, Quittungen zu sammeln und zu verkaufen, natürlich ohne dafür
Quittungen auszustellen. Werden viele Steuerbeamte künftig nicht
mehr beide Augen zudrücken und die Hand hinhalten? Grivas hofft es. Der
Druck ist da. Manchmal hilft der Staatsanwalt nach. Bisher werde
jährlich gegen mehr als hundert Steuerbeamte - weniger als ein Prozent -
Ermittlungen eingeleitet. Ungefähr jeder zehnte von ihnen wird
gefeuert. Dass aber 99 von 100 Steuerbeamten ihren Beruf korrekt
versehen, glaubt kaum ein Grieche. So denken viele, dass das
Dreidrittelsystem weiter praktiziert wird - ein Drittel des fälligen
Steuerbetrags sackt der Steuereintreiber ein, ein Drittel behält der
Steuerpflichtige für sich, und ein Drittel fließt in den Staatssäckel. Doch
Grivas ist optimistisch. 16 974 Swimmingpools gibt es im Norden von
Athen, wo die Reichen wohnen. Das haben Satellitenbilder ergeben. Nur
für 324, also zwei Prozent, wurden Steuern entrichtet. "Den Besitzern
der übrigen geht es jetzt allen an den Kragen!" warnt er. Wirklich?
Grivas spürt den Zweifel und fügt hinzu: "Was die Korruption im Kleinen
betrifft, sind wir Griechen ja Meister. Aber wenn es um Bestechung im
Big Business geht, schlagt ihr Deutschen uns bei Weitem. Siehe Siemens."
Der deutsche Konzern hat tatsächlich eine Reihe griechischer
Parlamentarier bestochen. Inzwischen ist der frühere Siemens-Chef in
Griechenland, Michael Christoforakos, laut einem Bericht des Spiegel
bereit, 1,2 Millionen Euro an Schadenersatz zu zahlen. Bei einem
weiteren griechischen Ex-Manager, der sich hartleibig zeige, stehe eine
Lösung aber noch aus, hieß es. Auf der Rangliste von Transparency
International, einer Nichtregierungsorganisation, die jedes Jahr das
Ausmaß der Korruption aller Länder dieser Welt berechnet, nimmt
Griechenland unter den Staaten der Euro-Zone den Spitzenplatz ein.
Kostas Bakouris, Präsident der griechischen Sektion der Institution mit
Hauptsitz in Berlin, meint, das System des "Rousfeti", des "kleinen
Gefallens", habe zu einer Wirtschaft des Fakelaki und zur
Vetternwirtschaft im Staatsapparat geführt, der immer mehr aufgebläht
wurde. "Hätte es die Finanzkrise nicht gegeben, hätten wir einfach so
weiter gemacht", meint Bakouris. "Keine Regierung sagte: 'Halt! So geht
es nicht weiter.'" Die Verschuldungskrise hat auch ihr Gutes.
"Alle sind nun gegen die Korruption", stellt Bakouris fest, "die
Griechen lassen nicht mehr alles durchgehen, und die Regierung hat
gemerkt, dass die Korruption auch ein wirtschaftliches Problem ist."
Jeder erwachsene Grieche hat im vergangenen Jahr im Durchschnitt 1 450
Euro Bestechungsgelder bezahlt, um die Ausstellung eines Führerscheins
zu beschleunigen, um einen Operationstermin zu kriegen, um Steuern zu
sparen ... Die Korruption kostet den Staat jährlich über 20
Milliarden Euro, behauptet Leandros Rakintzis. Der vom Kabinett
bestellte Generalinspektor der öffentlichen Verwaltung ermittelt wegen
Beamtenbestechung und hat 2009 in 185 Fällen die Staatsanwälte
eingeschaltet. "Am schlimmsten sieht es in den Gemeindeverwaltungen, im
öffentlichen Gesundheitswesen und im Bausektor aus", sagt Rakintzis. Griechenland
plant, die Zahl der Gemeinden etwa auf ein Drittel zu reduzieren und
statt 52 soll es noch 13 Regionen geben. Darüber sollen zwei Milliarden
Euro eingespart werden. Es ist auch ein Werg, gewachsene
Korruptionsnetze zerschlagen zu können. Und was sagt Rakintzis zu den
über zwei Millionen illegal gebauten Häusern? "Es gibt inzwischen eine
Kommission, die für den Abriss von Häusern zuständig ist", sagt er,
"aber wir können natürlich nicht zwei Millionen Häuser abreißen." Man
werde nur gegen Neubauten vorgehen. Im Übrigen habe er keine
Vollmachten, sagt Rakintzis und lässt seinen schweren Körper in den
Sessel fallen, seine Aufgabe sei es, Vorschläge zur Bekämpfung der
Korruption zu machen. Inwieweit die Regierung diese umsetze, darauf habe
er keinen Einfluss. Der Generalinspektor sagt die Sätze mit gespieltem
Lächeln, aus dem auch ein Stück Resignation zu sprechen scheint: Ich tu
mein Bestes, aber es gibt viel zu tun. Vieles muss anders werden. Aber
wird sich hier überhaupt je etwas ändern? Gehören Fakelaki und Rousfeti
nicht längst zu Griechenland wie Rebetiko, Souvlakis und Akropolis? |