Wer erschoss Roque Dalton? |
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Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 16.10.2010Der bekannteste Schriftsteller El Salvadors wurde 1975 von der
Guerilla hingerichtet. Sein Sohn fordert Aufklärung und die Entlassung
eines der mutmaßlichen Mörder aus einem hohen Regierungsamt
Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen. So dozierte der deutsche Philosoph Karl Marx, und zu dieser Erkenntnis kam eines Tages auch Roque Dalton. Der größte Schriftsteller El Salvadors schrieb 18 Bände Gedichte und Prosa sowie einen einzigen Roman ("Armer kleiner Dichter, der ich war"), sein Leben aber beendete er als Guerillero. 1975, vier Tage vor seinem 40. Geburtstag, wurde er erschossen - von seinen eigenen Genossen. Roque Dalton absolvierte
in San Salvador eine Jesuitenschule, wo er nach eigener Aussage den
Glauben verlor, begann 1953 ein Jura-Studium in Santiago de Chile,
kehrte 1955 in sein Heimatland zurück und trat ein Jahr später der
Kommunistischen Partei bei. 1960 wurde er verhaftet und wegen Gründung
roter Zellen und Aufrufs zur Gewalt gegen Großgrundbesitzer zum Tod
verurteilt. Doch Roque Dalton hatte Glück. Einen Tag vor dem
Hinrichtungstermin wurde der Präsident des Landes gestürzt. Der
Jungkommunist kam frei und ging ins Exil - über Mexiko ins revolutionäre
Kuba. Nach seiner heimlichen Rückkehr wurde er 1965 erneut verhaftet,
gefoltert und zum Tod verurteilt. Er hatte ein zweites Mal Glück. Vier
Tage vor dem geplanten Exekutionstermin erschütterte ein Erdbeben das
Land. Die Gefängnismauern stürzten ein. Roque Dalton floh erneut nach
Kuba. Dort ließ er sich militärisch ausbilden. 1973 kehrte er nach El
Salvador zurück, um sich der FPL-Guerilla anzuschließen. Doch deren
legendärer Gründer Salvador Cayetano Carpio alias "Comandante Marcial",
wies ihn ab: Er solle der Revolution als Dichter dienen, nicht als
Soldat. So ging Roque Dalton zur Konkurrenz, zur ERP-Guerilla, die
sich mit dem eigenwilligen Intellektuellen schwertat und ihn
schließlich wegen angeblicher Aufstachelung zur Desertion und
Befehlsverweigerung zum Tod verurteilte. Diesmal rettete ihn kein
Umsturz und kein Erdbeben. Der Dichter glaubte bis zuletzt, so sagte
später ein Teilnehmer des Geschehens aus, es handele sich um einen
Irrtum, und versuchte, die Genossen zu überzeugen. Vergeblich. Ein
Kommando der Guerilla füsilierte ihn, und mit ihm den Genossen Armando
Arteaga, den Roque Dalton zur Desertion aufgefordert haben soll. Die
Kritik der Waffen hatte über die Waffe der Kritik obsiegt. Damit
hätte die Geschichte ein Ende haben können. Aber Roque Dalton hatte eine
Frau und drei Söhne. Der älteste, Roque junior, wurde 1981 im
salvadorianischen Bürgerkrieg erschossen, die beiden anderen hingegen,
Juan José und Jorge, leben noch. Und sie wollen wissen, wer 1975 ihren
Vater erschossen hat, wo er begraben oder verscharrt wurde, und weshalb
einer der mutmaßlichen Mörder heute ein hohes Regierungsamt innehat. Juan
José Dalton ist Herausgeber einer Online-Zeitung und lebt mit seiner
Frau, die Vizeumweltministerin ist, und seinen drei Töchtern in einem
abgeriegelten Wohnviertel der Hauptstadt. San Salvador ist eine der
gefährlichsten Städte der Welt. Maras, bewaffnete Jugendbanden,
verunsichern große Teile der Stadt. Seinen Vater hat Juan José zum
letzten Mal 1973 in Kuba getroffen, wo die Mutter mit den drei Söhnen
damals wohnte. "Ich war 18 Jahre alt", sagt er beim Kaffee und krault
seine beiden Hunde, "ich erkannte ihn kaum wieder. Er hatte sein Haar
kurz geschnitten, trug nun einen Schnäuzer und eine Brille, obwohl er
immer gut sah. Seine Nase war kleiner und begradigt, auch am Gebiss, am
Kiefer, an den Ohren und an der Stirn hatte der Chirurg gearbeitet."
Roque Dalton war gekommen, um sich von seinen Söhnen zu verabschieden.
Dann reiste er illegal nach El Salvador ein. Von der Ermordung
seines Vaters hörte Juan José zum ersten Mal Ende Juni 1975 in Havanna:
"Die Mutter einer Schulkollegin arbeitete als Journalistin bei der
kubanischen Presseagentur und hatte erfahren, dass die ERP-Guerilla in
einem Flugblatt, das in der Universität San Salvadors auftauchte, die
Verantwortung für die Hinrichtung übernommen hatte." Ein Jahr nach
Ausbruch des offenen Bürgerkriegs in El Salvador kehrte Juan José 1981
in seine Heimat zurück - illegal über Honduras mit einem Trupp
Guerilleros. Er war der FPL beigetreten, die seinen Vater abgewiesen
hatte. Noch im selben Jahr wurde er schwer verletzt gefangen genommen.
"Der Schuss ging knapp am Herzen vorbei, aber das Projektil hat meine
Lunge durchschossen", berichtet Juan José, zieht das T-Shirt hoch und
zeigt eine riesige Narbe, "bevor man mich ärztlich behandelte, wurde ich
an beiden Händen aufgehängt und gefoltert." Seine Finger zeigen noch
heute Spuren der Misshandlungen. "Ein von einem Gringo gesteuerter
Hubschrauber flog mich schließlich nach Ilopango, zum Militärflughafen
außerhalb der Stadt. Dort wurde ich wieder gefoltert. Dann kam ich ins
Gefängnis. Der Freund eines Mitgefangenen war Rechtsanwalt beim Obersten
Gericht, und auf eine Intervention des Internationalen Komitees des
Roten Kreuzes kam ich Weihnachten 1981 frei." Juan José ging ins
Exil nach Mexiko. Dort arbeitete er als Journalist und traf sich kurz
vor Kriegsende 1992 mit Joaquín Villalobos, der ein Jahr nach dem Mord
an Roque Dalton zum unumstrittenen Führer der ERP avanciert war und für
diese die Friedensverhandlungen führte. Der Guerillachef gestand dem
Sohn des Dichters, was inzwischen jeder wusste: Er gehörte dem
"Kriegsrat" an, der das Todesurteil gefällt hatte. "Mit roten Augen, den
Tränen nahe, sagte er mir: -€öEs war der größte Fehler meines
Lebens.'.", berichtet Juan José und zeigt sein Interview, das damals in
der mexikanischen Presse erschien. "Ging der Mord an Roque Dalton auf
eine kollektive Entscheidung zurück?", fragte der Journalist.
Villalobos: "Es war die Entscheidung der Führung von 1975: Alejandro
Rivas, Jorge Meléndez, Vladimir Rogel, Alberto Sandoval, ein Genosse mit
dem Pseudonym Mateo und ich. Wahrscheinlich habe ich einige Namen
vergessen." Wer damals den Schuss abgab, wollte Villalobos nicht
verraten. Es ist wohl auch nicht wichtig. Aber Juan José möchte es schon
wissen. Und was ist aus den Mitgliedern des "Kriegsrats"
geworden? Villalobos beriet in jüngster Zeit die konservativen
Präsidenten von Kolumbien und berät jetzt den nicht weniger
konservativen Präsidenten von Mexiko. Über das Schicksal von Alejandro
Rivas, dem Gründer und ersten Chef der ERP, herrscht Unklarheit: Die
einen sagen, er sei aus der Guerilla ausgeschlossen worden, andere
sagen, er sei im Krieg gefallen, und wieder andere behaupten, er sei mit
einem Großteil des Geldes, das die Guerilla dem von ihr entführten und
ermordeten Unternehmer Roberto Poma abpresste, durchgebrannt und lebe
heute an einem unbekannten Ort. Vladimir Rogel, der das Todesurteil
gegen Roque Dalton ebenfalls mit fällte, wurde später vermutlich von der
ERP selbst zum Tod verurteilt und erschossen. Und Jorge Meléndez hat
unter der heutigen Linksregierung ein ziemlich hohes Amt inne. Er ist
Chef des Zivilschutzes. Mit Journalisten will Meléndez nicht mehr
sprechen. Aber immerhin gab er gegenüber "Contrapunto", der
Online-Zeitung Juan José Daltons, zu, dass er am "Kriegsrat"
teilgenommen hat. Darauf sei er stolz, sagt er, abgedrückt jedoch habe
er selbst nicht. "Wir sprechen nicht über einen armen kleinen Dichter,
der ermordet wurde", fügte der Ex-Guerillero lakonisch hinzu, "sondern
über einen politischen Akteur, der in einem bewaffneten Konflikt zu Tode
kam." Juan José Dalton hat im Lauf der Jahre viele Zeugenaussagen
gesammelt. Heute geht er davon aus, dass Villalobos den zum Tode
verurteilten Dalton erschoss und Rogel dessen Mitangeklagten Arteaga.
Meléndez musste wohl als Zeuge zuschauen und Rivas, dem Chef, Vollzug
melden. Der Sohn des ermordeten Dichter-Guerilleros forderte
Mauricio Funes, den linken Präsidenten El Salvadors, schon vor Monaten
auf, Meléndez als Chef des Zivilschutzes zu entlassen. Funes, der selber
nie in der Guerilla war, gewann im vergangenen Jahr die Wahl als
Kandidat der FMLN. Diese war aus einem Zusammenschluss der ERP, der FPL
und zweier weiterer Guerillaorganisationen hervorgegangen und hatte sich
nach Kriegsende 1992 in eine Partei umgewandelt. Der Präsident gehört
dem gemäßigten Flügel an. Einen Grund, Meléndez zu feuern, sieht er
jedoch nicht. Die Sache Dalton sei verjährt. Henry Fino hingegen,
der Anwalt der Familie Dalton, behauptet, es gehe um ein nicht
verjährbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weil die Mörder
beabsichtigt hätten, eine bestimmte Form des Denkens auszumerzen. Vor
vier Monaten schon verlangte er von der salvadorianischen
Staatsanwaltschaft die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens. Antwort
erhielt er bis heute keine. So will nun die Familie Dalton den Fall der
Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten in
Washington unterbreiten, die entscheiden muss, ob sie ihn zu einer
abschließenden Beurteilung an den Interamerikanischen Gerichtshof für
Menschenrechte in Costa Rica weiterleitet. Dass Roque Dalton ein
großer nationaler Schriftsteller ist, bestreitet auch Präsident Funes
nicht. Er will sogar den Pressesaal der Regierung nach ihm benennen.
Jorge Dalton, der jüngere der beiden noch lebenden Söhne, der in San
Salvador als Filmemacher arbeitet, ist empört "Was ist das für eine
Moral, der Präsident will einerseits den Mord an meinem Vater
vertuschen, andererseits einen Saal nach ihm benennen?! Acht Monate lang
ließ Funes unsere Briefe unbeantwortet, und dann sagte er: Roque Dalton
gehört nicht der Familie, sondern dem ganzen salvadorianischen Volk.
Die legitimen Erben aber sind mein Bruder und ich." Funes prämiere einen
Mörder oder einen, der wisse, wer der Mörder ist, aber es nicht sage. "Wir
fordern die Regierung auf", heißt es in einem offenen gemeinsamen Brief
von Juan José und Jorge, "den Namen Roque Daltons nicht mehr in den
Mund zu nehmen." |