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Keine Angst vor den Muslimbrüdern PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung 02.02.2011


Bei ihrem Besuch in Jerusalem betonte Angela Merkel, dass sich Deutschland der Sicherheit Israels zutiefst verpflichtet fühle. Das gehört zum diplomatischen Kanon. Das Existenzrecht Israels, das die Bundeskanzlerin schon vor drei Jahren zur deutschen Staatsräson erklärt hatte, steht nicht zur Debatte, wohl aber eine wankende Sicherheitsarchitektur. Israel macht sich Sorgen um die Entwicklung in Ägypten. Das ist verständlich, denn jede demokratische Öffnung in Kairo wird den Muslimbrüdern mehr Macht bescheren.



Im Libanon, wo Israel vor fünf Jahren mit der Bombardierung Beiruts den Einfluss der Hisbollah zurückdämmen wollte, hat diese vom Iran unterstützte islamistische Organisation vor einer Woche zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten ihrer Wahl durchgesetzt. Im Gaza-Streifen, den Israel vor zwei Jahren mit einem Krieg überzog, herrscht weiterhin unangefochten die islamistische Hamas. Nun wankt Mubarak, der 30 Jahre lang treu an der Seite Israels stand und bei der Abriegelung des Gaza-Streifens tatkräftig mithalf.


Israel warnt vor den ägyptischen Muslimbrüdern. Genauso warnte Mubarak die USA vor ihnen, wir wissen dies dank Wikileaks. Diese Furcht ist einer der Gründe, warum die USA Mubaraks Regime jährlich mit einer Militärhilfe von 2,3 Milliarden Dollar unterstützen. Mit der islamistischen Alternative begründete der Autokrat 2009 seine Weigerung, eine politische Öffnung einzuleiten. Zum Islamismus hatten die meisten arabischen Potentaten bisher ein taktisches Verhältnis - und mitunter nicht nur sie. Immerhin haben die USA einst auch die Taliban gefördert, und Israel unterstützte die Hamas zu Beginn zumindest indirekt, um die PLO zu schwächen.


In zahlreichen arabischen Ländern wurden die Islamisten stark, weil die Machthaber sie gegen säkulare Kräfte in Stellung brachten. Die demokratische Opposition wurde ausgeschaltet oder gar nicht erst zugelassen.


Als in Tunesien in den 70er-Jahren eine laizistische Studentenbewegung das Regime herausforderte, berief der damalige Präsident Habib Bourguiba den Sportfunktionär Mohamed Mzali zum Erziehungsminister, der die Ausbildung arabisierte und islamisierte. Danach wurden die Islamisten stärker als in jedem anderen Staat des Maghreb, weshalb sie schon einige Jahre später ins Exil gejagt wurden.


In Algerien kartätschte die Armee 1988 eine Jugendbewegung zusammen, die nach mehr Freiheit lechzte. Es gab etwa 500 Tote. Erst danach gewann die islamistische FIS die Wahlen. Als sie um ihren Sieg geprellt wurde, kam es zu einem zehnjährigen Bürgerkrieg mit 200000 Toten.


In Libyen stellte sich Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, seit 41 Jahren an der Macht, mit der religiösen Opposition auf guten Fuß und entließ vor fünf Monaten 37 islamistische Gefangene, während jede demokratische Opposition weiterhin hart verfolgt wird.


In Ägypten zählt die Muslimbruderschaft heute vielleicht eine Million Mitglieder. Der 1981 ermordete Präsident Anwar as-Sadat schuf als Zugeständnis an die Islamisten die Schura, einen religiösen Rat. Teile der Scharia wurden ins Strafgesetzbuch eingeführt. Bei den Wahlen von 2005 gewannen die Muslimbrüder, die als Partei nicht auftreten, aber unabhängige Kandidaten ins Rennen schicken durften, 88 Sitze. Sie drängten im Parlament auf Reformen. Nach den grob gefälschten Wahlen vor drei Monaten hatten sie keinen einzigen Sitz mehr.


Die Muslimbrüder, gerade in den Unterschichten aufgrund ihrer karitativen Tätigkeit weithin populär, haben sich auf die Grundsätze von Gewaltfreiheit, Demokratie und Pluralismus verpflichtet. Es mag an ihrem Rand Extremisten geben wie auch in der Mitte von Mubaraks Regierungspartei, die im Übrigen noch immer der Sozialistischen Internationale angehört. Vermutlich hat die Muslimbruderschaft in der jüngsten Zeit an Bedeutung eingebüßt, doch ist sie wohl weiterhin stärkste Kraft der Opposition. Wer sie von einer Übergangsregierung ausschließen will, nimmt ihre Radikalisierung in Kauf.


Bislang waren die verkrusteten politischen Strukturen der Autokratien der beste Nährboden für den Islamismus. Der Aufbruch im arabischen Raum wird nun auch die Islamisten in die politische Öffentlichkeit zwingen. Streitbare Demokraten brauchen die Auseinandersetzung nicht zu scheuen, zumal in dieser Revolte eine Jugend mit neuem Selbstbewusstsein auf die Bühne drängt. Sie will in der Moderne ankommen, nicht in der Vergangenheit. Den Ängstlichen und Opportunisten in Washington, Brüssel und Jerusalem hat sie einen Lehrsatz ins Stammbuch geschrieben: Eine Stabilität, die auf Unfreiheit und Folter beruht, ist letztlich keine.

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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid