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Das Versagen der Eliten PDF Drucken
Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 10.10.2012


Es ist der erste Besuch der deutschen Bundeskanzlerin in Athen seit Ausbruch der Finanzkrise. Der Besuch kommt spät, mindestens zwei Jahre zu spät. Zu spät auch äußerte die Regierungschefin des reichsten EU-Staates ihr Mitgefühl für die notleidenden Griechen. "Es blutet einem schon das Herz", meinte sie vor Kurzem angesichts bevorstehender weiterer Kürzungen der Renten. Da erntete sie in Athen nur noch Spott. Ein Gewerkschaftssprecher rief mitfühlend zu Blutspenden auf.


Angela Merkel ist in der griechischen Öffentlichkeit längst zur kaltherzigen Eisernen Lady avanciert - dank einer Boulevardpresse, die sie mit Hakenkreuzbinde zeigt, vom Vierten Reich schwafelt und sie nun mit der Schlagzeile "Heil!" begrüßt. Auch dank Politikern und Gewerkschaftern, die seit geraumer Zeit virtuos auf der Klaviatur des Populismus Ressentiments einer gedemütigten Bevölkerung bedienen. Die Wut auf die deutsche Kanzlerin ist groß, und sie wurde geschürt.

Genauso wie hierzulande die Verachtung für die angeblich faulen Griechen geschürt wurde. "Wir zahlen den Griechen Luxus-Renten", titelte das deutsche Blatt mit den größten Buchstaben und höhnte: "Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen!" Ein Großteil der deutschen Bevölkerung meint, die Griechen würden zu wenig arbeiten, nur in der Sonne liegen, ein Schlaraffenleben auf Pump führen und all dies auf Kosten der braven deutschen Steuerzahler. Auch Merkel sagte ja vor nicht allzu langer Zeit, die Griechen würden halt zu wenig arbeiten.

Sie sollten arbeiten wie die Deutschen, meinte sie. Aber die Griechen arbeiteten vor der Krise durchschnittlich 44,3 Stunden und die Deutschen nur 41,7 Stunden! Mag sein, dass die Griechen, nie infiziert von den Segnungen der protestantischen Ethik, weniger effizient arbeiten. Wie auch immer. Heute jedenfalls wird in Griechenland noch weniger gearbeitet. 24 Prozent sind arbeitslos, unter den Jugendlichen ist es jeder zweite. Man muss sich das konkret vorstellen: Die Chance, finanziell unabhängig von den Eltern zu werden, eine eigene Familie gründen und sich eine Zukunft bauen zu können - oder eben all dies nicht -, steht für eine ganze heranwachsende Generation fünfzig zu fünfzig.

Gewiss, die Krise ist hausgemacht und vor allem der Korruption, der Kleptomanie und dem Klientelsystem geschuldet. Diese drei Ks haben eine Mentalität geprägt, die einer Krisenlösung im Weg steht und so schnell doch nicht zu überwinden sein wird. Die Elite hat den Staat jahrzehntelang als Beute begriffen, und für viele Griechen fielen mehr als nur Brosamen ab. Macht korrumpiert. Machtlosigkeit auch. Nebenbei: Die deutsche Siemens AG hat griechische Entscheidungsträger mit Millionensummen geschmiert, um Aufträge staatlicher Firmen zu erhalten.

Die Krise ist hausgemacht, die Krisenlösung ist es nicht. Die EU und der IWF haben dem bankrotten Staat als Gegenleistung für Finanzhilfe eine Rezeptur verordnet, die, absehbar, zu einer dramatischen Verschärfung der Rezession führte. In fünf Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt um 20 Prozent geschrumpft. Weitere Sparmaßnahmen werden den Trend fortsetzen. Ein nächster Schuldenschnitt, den heute noch alle ablehnen, wird kommen.

Vom ersten Schuldenschnitt waren in Griechenland vor allem Banken und die Sozialkasse betroffen. Die Banken werden nun sinnvollerweise mit internationaler Finanzhilfe rekapitalisiert. Die Sozialkassen hingegen nicht. Das ist ein Skandal, der zur Folge hat, dass das Krankenversicherungs- und das Rentensystem vor dem Kollaps stehen. Es bluten die Griechen. Ein zweiter Schuldenschnitt aber wird zulasten der Europäischen Zentralbank gehen, wo sich die griechischen Staatspapiere angehäuft haben, und damit auch direkt zulasten deutscher Steuerzahler.

Kein Zweifel: Die politische Elite Griechenlands, zu deren Wiederwahl übrigens deutsche Spitzenpolitiker aus Angst vor der erstarkenden Linken im Juni mehr oder weniger offen aufgerufen haben, hat versagt. Das Versagen der politischen Elite Deutschlands hingegen ist weniger evident. Es besteht darin, um die bittere Wahrheit herumzureden, statt dem eigenen Volk reinen Wein einzuschenken: Ein zweiter Schuldenschnitt wird kommen.

Es ist Zeit, dass Merkel, Rösler, Schäuble, Westerwelle und alle, die delegierte Macht haben und Verantwortung tragen, den Deutschen, die als Exportweltmeister von der Verschuldung Griechenlands indirekt ja profitiert haben, die Alternative unmissverständlich vor Augen führen: Entweder wird Griechenland mit internationaler Hilfe gerettet - und das kostet auch die Deutschen Geld. Oder es verlässt die Euro-Zone, was die Deutschen noch mehr Geld kosten wird.


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Der Blick in die Welt, Thomas Schmid