Weitergestolpert PDF Drucken

Thomas Schmid, Berliner Zeitung, 23.02.2015

Selten wohl war in einem europäischen Kabinett so viel wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz versammelt. Ein halbes Dutzend Minister der griechischen Regierung sind Universitätsprofessoren und haben bis in allerjüngster Zeit noch an ökonomischen Fakultäten doziert. Aber Wissenschaft und Politik sind offenbar zwei Paar Schuhe. Ein guter Spieltheoretiker ist nicht unbedingt ein guter Spieler. Schon der alte Bismarck, der in seinen Reden gern antiintellektuelle Ressentiments bediente, hatte gespottet: "Die Politik ist keine Wissenschaft, wie viele der Herren Professoren sich einbilden, sondern eine Kunst."


Diese Kunst beherrscht Wolfgang Schäuble zweifellos besser als sein griechischer Amtskollege und Gegenspieler Yanis Varoufakis. Sie waren die beiden Exponenten des Pokers, der Europa eine Woche lang in Atem gehalten hat. Schäuble hatte in diesem ungleichen Spiel von Anfang die besseren Karten. Varoufakis hatte letztlich nur einen einzigen Trumpf, den Grexit. Seine implizite Drohung: Wenn wir bankrottgehen, dann kommt dies Griechenland zwar teuer zu stehen, aber auch Europa wird in den Strudel einer Dynamik mit unwägbaren Konsequenzen gerissen.

Mag sein, dass Schäuble fest davon überzeugt ist, dass die Dämme, die in den letzten Jahren errichtet wurden, um Europa vor einem Überschwappen der griechischen Krise zu schützen, hoch genug sind. Mag sein, dass er Griechenland ohnehin gerne zum Exit Grexit schicken würde. Jedenfalls ist es ihm gelungen, Varoufakis in der Ministerrunde komplett zu isolieren. Dessen nassforsches Auftreten mag es ihm erleichtert haben.

Die Griechen mussten nachgeben - auch weil immer mehr Bürger ihre Konten plünderten und ein Bankenkrach schon in wenigen Tagen drohte. Man hat ihnen die Niederlage mit einigen symbolischen Konzessionen versüßt und ihnen auch einen minimalen Spielraum für eine eigene Schwerpunktsetzung in den Sparbemühungen gelassen. Wenn Regierungschef Alexis Tsipras nun aber das Resultat von Brüssel als Sieg verkauft, werden ihm dies in seiner Heimat allenfalls einige bornierte Parteisoldaten abnehmen.

Im Übrigen ist wohl der Missmut über das magere Verhandlungsergebnis in der Partei größer als beim Volk. In der "Linken Plattform", die in der regierenden Syriza 30 Prozent der Parteimitglieder vertritt und die ohnehin für einen Austritt aus der Eurozone ist, wird man der Regierung Verrat am Wahlprogramm vorwerfen. Unter den Syriza-Wählern aber herrscht weithin ein realistischer Pragmatismus vor.

Es mag für konservative Politiker eine Genugtuung sein, dass Tsipras, der Star der europäischen Linken, eine Niederlage hinnehmen musste, dass sein frecher Finanzminister klein beigegeben hat. Doch wer Griechenland in der Eurozone halten und das politische Projekt Europa nicht nachhaltig beschädigen will, wird auf Syriza setzen müssen. Auf absehbare Zeit wird sich keine Alternative finden, die das Land aus der Krise herausführen könnte.

Denn eines ist inzwischen klar: Allein mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen ist diese Krise nicht zu überwinden, weil es eben nicht nur eine wirtschaftliche Krise ist. Die beiden traditionellen Großparteien Griechenlands, die seit 40 Jahren das Land abwechselnd, zuletzt gemeinsam regiert und in den Ruin getrieben haben, die konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok, sind den wirtschaftspolitischen Forderungen der internationalen Geldgeber weitgehend nachgekommen: Das Resultat: Massenarmut, Hoffnungslosigkeit, Abwanderung der gebildeten Jugend. Die Forderungen nach strukturellen Reformen jedoch konnten die Altparteien nicht erfüllen, weil sie andernfalls ihre Macht, die auf Korruption und Klientelwirtschaft beruht, untergraben hätten.

Ohne eine Reform des Steuersystems, die für mehr Steuergerechtigkeit sorgt, und ohne einen resoluten Kampf gegen die Korruption wird Griechenland trotz aller Sparbemühungen keinen Weg aus der Krise finden. Gerade weil Syriza in die überkommenen Strukturen von Korruption und Klientelwirtschaft nicht verstrickt ist, und wäre es auch nur, weil sie nicht die Chance hatte, sich zu verstricken, ist sie im Land die einzige Partei von Gewicht, die strukturelle Reformen angehen kann.

Zunächst spülen solche Reformen wenig Geld in die Kasse, später dafür umso mehr. Deshalb müssten selbst europäische Politiker mit der Mentalität eines Buchhalters oder Kassenwarts, die das Elend nicht wahrnehmen, das sich hinter den Zahlen versteckt, auf denen sie so gnadenlos beharren, umdenken. Die neue griechische Regierung, die ja erst einen Monat im Amt ist, braucht Zeit und verdient eine reale Chance. Wird man sie ihr geben? Vorerst wird weitergestolpert.


Copyright: Berliner Zeitung

 

copyright © 2008 | - Journalist | website designed by: kalle staymann

Der Blick in die Welt, Thomas Schmid